Wachgeküsst


Claudia ist meine Freundin. Vielleicht sogar meine beste Freundin. Sie ist einige Jahre älter als ich und "hält mein Herz in ihren Händen", mütterlich, schwesterlich..

Es gibt nichts, was wir uns nicht erzählen. Ich weiß fast alles über sie. Alles Wichtige auf jeden Fall. Ich weiß, dass sich hinter der großen, schweren Frau ein leichtfüßiger Geist verbirgt. Wie eloquent sie reden kann! Claudia hatte mir mal erklärt, dass viele Menschen sie zunächst völlig falsch einschätzen. Wenn man Claudia das erste Mal sieht, so würde sie wohl niemand für attraktiv halten. ZU riesig, fast 1,90m - dazu auch noch hellblond und, wie erwähnt, ausgesprochen üppig. Hat man sich aber eine halbe Stunde mit ihr unterhalten, fallen einem ihre strahlenden Augen auf, ihr schöner Mund, ihr herzliches Lachen. Und noch etwas anderes: feingeschliffene Rhetorik, Intelligenz, Bildung, herzwarmes Verständnis für die Welt. "Ich muss die Menschen, die ich kennenlernen will, erst davon überzeugen, dass ich auch das Kennenlernen wert bin", meint sie. Einerseits bringt mich das in Wut -weil ich meine, dass sie das gar nicht nötig hat- andererseits weiß ich genau, wie richtig sie damit liegt.

Als sich diese Geschichte zutrug, war Claudia verheiratet, und zwar schon viele Jahre. Ich hatte nie so ganz verstanden, was sie an ihren Mann Peter band. Peter war nett, klar. Aber er war ihr in keiner Weise ebenbürtig. Ein lieber, ruhiger Typ, Beamter, außer Western und Abenteuerromanen keine Interessen. Claudia dagegen war umtriebig. Keine Bürgerinitiative des Viertels fand ohne sie statt. Sie arbeitete hart in einer Kanzlei und fand immer noch Zeit, sich um ihre halbwüchsigen Kinder zu kümmern. Ihr Tag hatte 25 Stunden. Peter saß dagegen nach der Arbeit vor dem Fernseher und ließ das wahre Leben an sich vorbeiziehen.

Claudia schien das nichts auszumachen. "Er läßt mich in Ruhe, das ist doch schon mal was" meinte sie oft. Sie betonte immer wieder, dass nicht jede Ehefrau Abend für Abend außer Haus verbringen kann. Nachdem ihre Kinder versorgt waren, zog sie los.

Auf meine vorsichtigen Fragen bestätigte sie lachend, dass sie und ihr Mann ein aktives Sexleben hätten. Das erstaunte mich zwar (Peter???), aber warum sollte ich ihr nicht glauben.

Mir fiel jedoch auf, dass sie immer öfter ganze Nächte in ihrer Stammkneipe verbrachte.
Sie diskutierte mit Studenten; spielte Karten und Kniffel; tröstete unglücklich Verliebte. Und sie spann Fäden, brachte Menschen miteinander ins Gespräch. Langsam wurde sie zu einer Instanz.

Das Auffälligste an ihrem Verhalten war aber, dass sie begann, zu flirten. Nicht etwa plump oder aufdringlich, oh nein. Sie hatte eine Art, einen Mann unmerklich in ihren Bann zu schlagen, die mir staunenden Respekt abnötigte. Claudia genoss dieses Spiel ungeheuer. Und sie war wählerisch. Nicht nur einmal erlebte ich, wie sie eine 10 Jahre jüngere "Sahneschnitte" an einem einzigen Abend derart bezauberte, dass sie diesem Mann wie eine Fee erschien. Schön, anziehend..sexy. Man musste das mal gesehen haben: Sie leuchtete, sie sprühte vor Esprit - und wie sie erzählen konnte! Ich selbst halte mich für durchaus konkurrenzfähig - aber neben Claudia verblasste ich geradezu. Sie machte nichts halb. Ihre Fähigkeit zur Emphatie, zum "Mitschwingen" mit ihrem jeweiligen Gegenüber, ließ sie zu dem einzigen Menschen werden, mit dem er sich noch unterhalten wollte. Faszinierend.

Mehr als einmal verließ sie die Kneipe zusammen mit einer Eroberung. Und erzählte mir am nächsten Tag, wie der Rest der Nacht verlaufen war. Sie schlief gänzlich unbekümmert mit ihrem "Prinzen der Nacht" - und ging dann nach Hause zu Peter.

Dies machte mir Sorgen. Was wäre, wenn er es herausbekäme? Doch Claudia beruhigte mich. "Peter und ich haben eine Vereinbarung. Wir machen beide, was wir wollen und reiben es dem anderen nicht unter die Nase." Sie sah mein ungläubiges Gesicht und beim nächsten Sonntagnachmittagskaffee in ihrer Wohnung sprach sie das Thema mit Peter kurz an. Es stimmte! Peter bestätigte, dass er um ihre kleinen Eskapaden wusste, und: dass es ihm nichts ausmachte. Im Gegenteil. Er schien ganz froh zu sein, dass Claudia ein zusätzliches Ventil für ihre Libido gefunden hatte.

So ging das bestimmt zwei Jahre lang.
Die "Offene Ehe" schien bestens zu funktionieren. Peter und Claudia machten einen glücklichen, gelassenen Eindruck. Jeder auf seine Art. Und dann geschah es.

Sie rief mich auf meiner Arbeit an. "Caro, ich muss dir was sagen. Können wir uns heute sehen?" Natürlich stimmte ich sofort zu. Wir trafen uns in einem kleinen Cafe in der Innenstadt. Sie erschien mir irgendwie verwandelt. Aufgeregt, fast fiebrig. "Ich habe eine Affaire!" platzte sie heraus. Mir stand der Mund offen. Und dann begann sie zu erzählen.

Vor einer Woche war sie wie gewohnt in ihrer Kneipe gewesen. Der Abend verlief ruhig. Sie unterhielt sich mit Bekannten, spielte Karten. Kein Prinz in Sicht. Passiert ja nun auch nicht jede Nacht. Die anderen verabschiedeten sich nach und nach. Gegen halb eins wollte auch Claudia gehen, da ging die Tür auf und ER kam herein. Ein Riesenkerl, bestimmt über zwei Meter groß. Grobschlächtig und schwer. Müdes Gesicht. Er setzte sich an die Theke, bestellte ein Guinness und starrte auf die Flaschen hinter dem Tresen. Eigentlich sah er eher durch sie hindurch - er schien mit den Gedanken weit fort zu sein. Als das Bier kam, und sich seine schaufelartige Pranke um das Glas schloss, drehte er kurz den Kopf und sah Claudia, die zwei Barhocker weiter saß, direkt in die Augen. "Trink mit mir!" forderte er sie auf.

Hier unterbrach meine Freundin ihre Erzählung. "Caro! Er hatte Augen, so klar wie ein Herbstmorgen. Er hat mich angesehen und mich erkannt, bis ganz tief in mein innerstes Selbst hinein. Ich bin noch nie so angeschaut worden, noch NIE!" Dann fuhr sie fort:

Jürgen, so hieß er, war gerade von der Schicht gekommen. Er sprach nicht viel mit ihr, aber sie trank mit ihm zwei Bier in stummer Kameradschaft. Um nichts in der Welt wäre sie gegangen. Schließlich bekam er Hunger und schlug vor, zu "Erika" zu gehen. "Erika" ist ein Speiselokal am Schlachthof mit ungewöhnlichen Öffnungszeiten: Von zwei Uhr früh bis 12 Uhr mittags können dort die Nachtarbeiter und die Szenegänger gutbürgerlich essen. Sie machten sich auf. Es war ja nur ein paar Straßen weiter. Bei "Erika" aßen sie Steak mit Bratkartoffeln und schwiegen sich einverständlich an - als hätten sie bereits ein Geheimnis miteinander. Gegen drei Uhr brachen sie auf.

Draußen regnete es in Strömen. Jürgen legte seine Jacke um sie und nahm sie bei der Hand. Sie rannten los, zurück Richtung Kneipe. Unter der Eisenbahnbrücke an der Sternschanze blieben sie stehen. Atemlos und klatschnass. An der Mauer klebten Plakate, Vorankündigungen für Konzerte... Jürgen sah sie an, zog sie an sich, ganz nahe.. legte seinen schweren Kopf an ihre Wange und sang ihr leise ins Ohr. "When you're weary.. feeling small.. when sorrow comes so hard.. I will take it all...I'll be with you..when times get rough.. and friends just can't be found .. like a bridge over troubled water.. I will lay me down.. like a bridge over troubled water...I will lay me down" Seine dunkle Stimme traf sie mitten ins Herz. Er wiegte sich mit ihr zur Musik. Dann nahm er sie wieder bei der Hand und ging weiter. Claudia stolperte hinter ihm her.

An der der übernächsten Straßenecke blieb er stehen. "Ich muss jetzt nach Hause. Du kannst nicht mitkommen. Meine Mutter wohnt bei mir, sie ist krank." Sie sah ihn an. Es regnete immer noch. Da nahm er sie in die Arme, ganz fest und drückte sie so sehr an sich, dass ihr der Atem wegblieb. Er küsste sie gierig und machtvoll; ihr sackten die Knie weg. Aber er hielt sie. Es war ein Gefühl, als wäre sie nach Hause gekommen, nach Jahren in der Fremde, nach Jahren in der Einsamkeit endlich endlich nach Hause.

"Caro, ich habe den ganzen Abend keine zwei Sätze zu ihm gesagt" erzählte sie. "Ich musste mich nicht anstrengen, ihm zu gefallen. Ich gefiel ihm!". Sie schien es selbst kaum glauben zu können. Und ich verstand zum ersten Mal, was sie so umgetrieben hatte, die ganzen Jahre. Der endlose Kampf um Anerkennung. Um die Überwindung des falschen Bildes, das die Menschen nicht von ihr behalten sollten. DESHALB also war sie überall dabei. DESHALB arbeitete sie so verdammt hart. DESHALB die Prinzen.

Von Peter, der aus Bequemlichkeit bei ihr blieb, hatte sie freundliche Duldsamkeit erfahren und mäßiges sexuelles Interesse. Wie um alle anderen Männer auch, so hatte sie auch um ihn gekämpft, vor langer Zeit. Es war nie die Frage, wer denn nun wen geheiratet hatte.

Sie erzählte weiter.

Jürgen hielt sie in den Armen, wohl eine Stunde lang. Der Regen hörte auf und langsam kroch die blaue Dämmerung über die Stadt. Sie sprachen nicht. Zuweilen fuhr sie zart mit einem Finger über seine stoppelige Wange, küsste sein Kinn, seine Nase, seinen Mund. Da bog er ihren Hals etwas zur Seite, platzierte seine Lippen auf ihren Nacken, öffnete den Mund und BISS zu! Der Schmerz war so hell und wütend, sie konnte nicht mal mehr schreien. Sie stand völlig starr. Er hielt sie eisern umklammert, seine Zähne tief in ihren Nackenmuskel geschlagen. Ihr Schreck war so groß, dass sie spürte, wie sie einen Moment die Kontrolle über ihre Blase verlor. Kitzelnd bahnte sich ihr Urin seinen Weg durch die Harnröhre, erreichte heiß ihre Schamlippen. Claudia konnte nicht mehr verhindern, dass ein Schwall in ihren Slip ging. Sie spürte die Wärme zwischen ihren Beinen und den Schmerz der Zähne gleichermaßen. Jürgen griff ihr unter den Rock, direkt zwischen die Schenkel. Er umfasste ihre Vulva fest und sie spürte seine Fingerkuppen durch den Stoff über ihre Lippen reiben, fordernd.

Seinen Biss lockerte eine keine Sekunde.
Allmählich begriff sie.
Sie begann, sich zu entspannen, sich ihm zu überlassen, vollständig.
Er hielt sie fest. Sie konnte nicht fallen. Sie musste nicht kämpfen.

In dem Maße, wie sich ihre Erstarrung löste, lockerte er den Biss. Claudia ließ los, alles. Ein heißer Schwung Urin ergoß sich über seine Finger, lief durch sie hindurch ihre Beine entlang. Er löste den Biss und sie hörte ihn in ihr Ohr stöhnen: " Jaa.. ja so..ja genau so..."

Jürgen küsste sie.. wartete, bis sie fertig war, küsste sie nochmal, hielt sie umfangen, groß und warm, drückte sie an sich mit aller Kraft. "Komm mit" meinte er schließlich.

Durch den anbrechenden Morgen zog er sie die Straße entlang, hin zum Schanzenpark. Dort auf einem Hügel stand der alte Wasserturm, ein Riesenbau, schon lange außer Betrieb. Sie stiegen den Hang hinauf. Jürgen holte aus seiner Jacke ein Schlüsselbund und schloss die kleine Metalltür am Fuß des Turmes auf. Claudia hatte keine Zeit zum Staunen. Er zog sie hinein in den Riesenbau und ging mit ihr durch die Finsternis zu einer kleinen Nische in der Mauer. Dorthin legte er seine Jacke auf die Ziegel. Sie ließen sich nieder, legten sich nebeneinander auf den Stoff... sie zogen sich aus, völlig. Es war etwas über null Grad im Turm. Ihr war nicht kalt. Sie schliefen miteinander...

Hier unterbrach Claudia ihre Erzählung erneut.
"Caro, er ist unglaublich. Derb und zärtlich, rau und sanft. Aber das Schönste ist, dass ich mich nicht vorsehen muss, bei ihm. Ich kann endlich zupacken, ihn fest anfassen, er mag das. Ich hab ihn gebissen, ihn gekratzt, ich war grob und er lachte!"

Sie strahlte mich dermaßen befreit an, dass ich mich fast schämte - dafür, dass ich nie vorher auf den Gedanken gekommen war, was es für sie bedeutet haben mag, immer diejenige gewesen zu sein, die Rücksicht nahm. Claudia hat ihre Männer immer gut behandelt, klar. Wie die rohen Eier. Die sanfte Claudia mit den Samthandschuhen.....

Sie berichtete, wie sie nach Hause ging, allein und ganz verwandelt. Wie falsch ihr plötzlich das Leben mit Peter erschien. Sie hat sich dann jede Nacht mit Jürgen getroffen. Mal im Turm, mal auf einem Abenteuerspielplatz. Einmal hatte er sogar ein Auto auf dem Gelände eines Gebrauchtwagenhändlers für sie aufgebrochen. "Weil mir so kalt war" sagte sie ganz begeistert.

Wir haben noch sehr viel geredet an diesem Tag.

Claudia hat Peter ein halbes Jahr später verlassen. Er nahm es hin, gleichmütig wie er alles hinnahm. Als ihre Kinder aus dem Hause waren, nahm sich meine Freundin eine kleine Wohnung. Jürgen blieb bei seiner Mutter, bis sie ein Jahr später starb.

Beide leben getrennt - und doch nicht ganz getrennt. Sie treffen sich weiter, um miteinander zu kämpfen, um sich zu lieben, fast jede Nacht in den dunklen Ecken meiner großen Stadt.

Zwei glückliche Riesen im Zwergenland.


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