Disziplin


Diese Geschichte erzählte mir ein guter Freund, nennen wir ihn Michael.

Michael ist seit Urzeiten mit Stefanl befreundet. Beide kennen sich schon von der Schule und studierten auch gemeinsam Medizin. Stefan wurde Internist, Michael Allgemeinmediziner.

Sie bekamen das Kunststück hin, tatsächlich in engem Kontakt zu bleiben. Bestimmt zwei- dreimal in der Woche treffen sie sich auf ein Bier und bringen sich gegenseitig auf Stand.

Dies ist umso erstaunlicher, als dass beide ganz unterschiedliche Typen sind.
Michael ist eher bodenständig. Nach dem Studium heiratete er seine Jugendliebe und wohnt mir ihr und den beiden Kindern glücklich am Stadtrand von Hamburg. Stefan dagegen war schon immer unstet. Ständig irgendwie verliebt, keine Beziehung dauert länger als ein halbes Jahr. Mit mildem Spott betrachtet er die "Gartenzwergidylle" in die sich Michael hineinbegeben hat. "Dein Leben spielt sich ja nur noch zwischen Praxis, Baumarkt und Elternabend ab" lästert er gern.

An Michael prallt sowas ab. Er ist zufrieden mit sich und der Welt. Allerdings lauscht er gern den begeistert vorgetragenen Schilderungen von Stefan, der nur zu gern von seinen Eroberungen erzählt; von den Clubs, den Konzerten, den schönen Mädchen, die ihm nur so zuzufliegen scheinen.

Und so verwunderte es ihn, dass Stefan eines Tages verdächtig still am Tisch saß, in sein Bier starrte und mit der Sprache nicht herausrücken wollte. "Komm schon, ich seh doch, dass was los ist. Raus damit!" ermunterte Michael seinen Freund. Und Stefan begann zu erzählen. Von einer Patientin, die seit einigen Wochen in seine Praxis kam. "Sie ist Geschäftsfrau, Anfang dreißig. Viel auf Reisen. Sie achtet sehr auf ihre Gesundheit...also, wenn man das so sagen kann". Und Stefan berichtete, unter was für einem Stress diese Christine stand. "Sie muss immer tipptopp aussehen. Jeder Pickel ist ein Drama. Sie ist gertenschlank, aber nur, weil sie dauernd Diät hält. Und deshalb kommt sie zu mir. Sie ist eigentlich gesund, aber sie hat Angst, dass sie durch ihre ewigen Wasserkuren und Nulldiäten zuwenig Vitamine und Mineralien aufnimmt. Deshalb gebe ich ihr jeden zweiten Tag eine Aufbauspitze mit allem Möglichen drin."

Michael schüttelte den Kopf. "Die soll mal lieber was Ordentliches essen, Sport treiben und sich ab und zu entspannen. Du als Arzt hast die Pflicht, ihr das nahezulegen. Die macht sich doch kaputt damit!" Stefan schwieg bedrückt. Endlich fuhr er fort: "Habe ich ihr anfangs auch gesagt. Aber sie ist sehr.. sehr absolut, wenn sie etwas will. Wenn sie es nicht von mir bekommt, geht sie eben woanders hin, sie ist Privatpatientin. Und ich.. also ich.. ich möchte sie nicht verlieren. Nicht wegen der Kohle, es ist weil.. also..."

Stefan starrte weiter in sein Bier und Michael begann zu lächeln. "Aha! Du hast dich verliebt! Und? Schon mal angegraben, die Dame?" Langsam schüttelte Stefan den Kopf. "Das hätte wenig Zweck. Ich habe das zu Beginn versucht. Aber sie hat mich kalt abfahren lassen. Sie ist so arrogant und hochnäsig. Und ich habe mich auch nicht verliebt. Also, ich meine, nicht so wie sonst. Sie interessiert mich wahnsinnig. Aber ich will keine Beziehung mit ihr, oder so. Ich will diese Mauer durchbrechen! Das kalte Schweigen, ihre Selbstsicherheit, die sie vor sich herträgt. Da muss doch irgendwo ein Mensch hinter der Maske sein! Wenn man 10 Minuten mit ihr zusammen ist, könnte man meinen, sie hat noch nie herzlich gelacht oder geweint, sie war nie verzweifelt oder verliebt. Diese Coolness, das macht mich rasend!" "Na, dann mal viel Vergnügen" meinte Michael.

Die nächsten Treffen sagte Stefan ab. Er schien sehr beschäftigt mit sich. Und so war Michael recht erstaunt, als sein Freund ihn eines Morgens anrief. "Michael, sie kommt heute abend um 20 Uhr in meine Praxis. Ich habe etwas vorbereitet und wenn du willst, kannst du dabei sein!" Ohne eine Antwort abzuwarten legte er auf. Gegen 19.30 Uhr traf Michael in der Praxis am Rödingsmarkt ein. Er fand Stefan in eigenartiger Stimmung vor. Fiebrig, aufgeregt, getrieben. "Was hast du vor, Stefan?" fragte er. Doch sein Freund antwortete nicht. "Stefan, wieso kommt sie um diese Zeit hierher?" Stefan meinte nur "Das ist nicht ungewöhnlich. Sie arbeitet sehr lange und sie wartet nicht gern. Also kommt sie abends, wenn keine anderen Patienten mehr da sind, holt sich ihre Spritze ab und geht wieder. Heute ist noch eine halbe Stunde Bestrahlung dabei, sie ist etwas erkältet". Geschäftig lief Stefan hin und er, bereitete die Spritze vor, stellte den Strahler zurecht... Endlich klingelte es. "Geh in den Nebenraum, ich lass die Tür halb auf" wies Stefan Michael an. Dann öffnete er seinem späten Gast.

Michael verschwand nach nebenan, setzte sich auf einen Stuhl und wartete. Von seinem Platz aus konnte er durch den Türspalt fast den halben Raum überblicken. Er hörte gedämpfte Stimmen aus dem Flur. Schließlich betraten sie das Behandlungszimmer, Stefan und - Michael riss die Augen auf und begann zu begreifen. Sie war groß, von blendender Schönheit, perfekt geschminkt. Ihr sehr roter Mund war geschwungen.. ihre hohen Wangenknochen gaben ihrem Gesicht etwas Königliches. Die langen dunkelbraunen glänzenden Haare waren hochgesteckt.. und die schlanken Beine, die unter dem knielangen engen Rock ihres Kostüms zu sehen waren, schienen endlos.. Michael schluckte.

Lässig zog Christine ihre Jacke aus, setzte sich und legte ihren nackten Arm auf das Tischchen neben ihren Stuhl. Stefan band ihr den Oberarm ab, wartete ein wenig und setzte ihr dann die Spritze in die Vene. "Ist der Strahler soweit?" fragte sie gelangweilt. Ihre Stimme war dunkel, aber unerotisch. Sehr geschäftsmäßig, fand Michael. "Sicher ist er das" meinte Stefan, löste den Gurt von ihrem Arm und brachte den Strahler in Stellung. "Ich habe nicht viel Zeit, ich muss gleich wieder weg" informierte ihn Christine. "Das trifft sich, ich habe auch einen Termin. Mein Freund wartet schon im Nebenzimmer auf mich. Aber ihre Nebenhöhlen brauchen die Wärme. Eine halbe Stunde, dachte ich.." "Zwanzig Minuten" sagte sie kühl. Stefan seufzte, stellte die Uhr am Strahler ein und drückte den Schalter. Christine lehnte sich zurück und schloss die Augen.

Wenig später betrat Stefan das Nebenzimmer und setzte sich auf einen Stuhl zu seinem Freund. Beide beobachten Christine stumm. Sie war ein prachtvoller Anblick, wie sie so dalag.. Alles an ihr war lang, elegant. Die schmalen Hände, die sie auf ihre Schenkel legte, die Arme.. Ihre Taille war so schlank, dass Michael ernsthaft überlegte, ob er sie wohl mit zwei Händen umfassen könnte. Christine betonte ihre Figur duch hautenge Kleidung. Ihr Top saß so knapp, dass die Linien ihres festen Busens nachgezeichnet wurden. Versonnen ließ Michael seinen Blick darüber gleiten.. DA!...Er sah genauer hin. Tatsächlich. Ihre Nippel hatten sich leicht verhärtet. Stefan wurde immer fahriger. "Noch 3 Minuten" flüsterte er.

Er stand auf, zog den Arztkittel aus und seine Jacke an, griff nach seinem Aktenkoffer und wartete. Als sich der Strahler ausschaltete, ging er zügigen Schrittes in das Behandlungszimmer und meinte "Fertig! Jetzt müssen wir aber auch gleich los, mein Freund und ich. Wir beide sind ja soweit klar." Christine stand auf und ging zur Tür, die ihr Stefan bereits auffordernd offenhielt. Im Gehen zog sie ihre Jacke an und nahm ihre Handtasche. In der Tür blieb sie einen ganz kurzen Moment stehen, wandte sich dann aber ab und verließ die Praxis. Stefan schloß die Praxistür geräuschvoll und öffnete sie dann wieder, diesmal sehr leise. Er winkte Michael zu sich heran.

Durch den Türspalt sahen sie in das Treppenhaus. Christine eilte die Stufen hinab. Ihr Termin musste wirklich sehr wichtig sein, so schnell, wie sie die fünf Stockwerke hinabstürzte, dachte Michael noch. Dann hörten sie von fern die schwere Haustür.

"Und was sollte das alles? Wieso bin ich hier? Was meintest Du denn nun mit "Vorbereitet"? Tolles Weib, sicher, aber deshalb hast Du mich jetzt nicht herbestellt, oder?" Michael war verwirrt. Doch Stefan schloß die Praxistür und lief zum Fenster, das auf den Rödingsmarkt rausging. "Komm schnell" winkte er den Freund heran. Michael folgte ihm und sah aus dem Fenster. Christine ging eilig über die Straße Großer Burstah. Es waren wenige Leute unterwegs. Doch wo wollte sie denn hin? Die Tiefgarage war im Haus, die U-Bahn in der entgegengesetzten Richtung und die Taxen ebenfalls. Da sah Michael es. Sie ging schnurstracks zum Toilettenpavillon. Der war eines dieser vollautomatischen modernen Häuschen, wo man nach Einwurf eines Euros 10 Minuten seinem Bedürfnis nachgehen konnte. Hektisch kramte Christine in ihrer Handtasche, zog ihr Portemonnaie heraus, fand den ersehnten Euro und warf ihn ein. Doch die Tür öffnete sich nicht.

Christine schlug gegen den Mechnismus, dann mit der flachen Hand gegen den Geldeinwurfschlitz. Nichts tat sich. Verzweifelt zog sie ein Bein leicht hoch und sah sich um. Immer noch Passanten überall. Mitten in der Innenstadt. Das nächste Restaurant war im Steigenberger Hotel, etwa 300 Meter weit. Sie lief los, nicht Richtung Hotel, sondern zurück zum nahen Ärztehaus. "JA!" keuchte Stefan und eilte zur Praxistür zurück. Michael folgte ihm. Sie hörten die Haustür aufgehen und dann Christines Pumps auf den Fliesen klacken. Sie rannte zum Fahrstuhl. "Komm schon" war ihre Stimme zu vernehmen. Sie hatte jetzt einen ganz anderen Klang, hoch, verzagt. Der Fahrstuhl kam und wenig später stand sie vor der inzwischen wieder geschlossenen Tür der Praxis und klingelte Sturm.

Stefan ließ sich Zeit mit dem Öffnen.
Michael, den inzwischen gewisse Ahnungen beschlichen hatten, war wieder ins das Nebenzimmer gegangen.
Endlich öffnete sein Freund die Tür.
"Ich müsste bitte ganz schnell Ihre Toilette benutzen" bat Christine drängend. Sie stand vor Stefan, ein Bein um das andere geschlungen und kniff die Schenkel zusammen. "Wir wollten gerade gehen, mein Freund und ich" log Stefan.
"Bitte, es ist ganz dringend!! Ich mach auch schnell! Bitte bitte, ich mach mir gleich in die Hose!!" Sie war völlig außer sich.
Aus ihrer Frisur hatte sich eine Strähne gelöst, die ihr ins Gesicht fiel.

Stefan betrachtete sie. Zögernd machte er ihr Platz. Sie stürzte in die Praxis. "Wo ist die Toilette?! Bitte!!" Christine hielt es nicht mehr aus. Sie griff sich mit einer Hand zwischen die Schenkel und wippte. Stefan zeigte stumm auf eine Tür am Ende des Flures. Mit verzerrten Gesicht und X-beinig versuchte sie weiterzugehen, musste aber sofort wieder stehenbleiben. "OOhhhh.." Sie stöhnte verzweifelt. Beim nächsten Schritt geschah es... Zischend strullte sie los. "Nein! Oh nein!" Ein steter Strom plätscherte ihre nylonbestrumpften Beine entlang, ergoss sich in ihre Pumps und bildete einen See auf den Fliesen. Es war so viel, dass sie weit länger als eine Minute nur pisste. Die ganze Zeit hatte sie ihre Hand zwischen den Beinen, als würde das noch irgendetwas nützen.

Stefan ging zu ihr. "Wenn es so dringend war, warum sind Sie denn nicht vorhin nochmal auf der Toilette gewesen?" fragte er mit heuchlerischer Freundlichkeit. Christine stand mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf vor ihm. Die Tränen liefen. Sie war besiegt. Vollständig.
Gespielt großzügig meinte Stefan: "Sie sollten sich jetzt erstmal beruhigen. Wenn Sie sich waschen möchten, bitte sehr. Ich warte. So derangiert können Sie ja nicht meine Praxis verlassen." Damit drehte er sich um und ging. Christine stolperte in Richtung Toilette.

Mit Siegermiene betrat Stefan das Nebenzimmer.
"Was hast du ihr gespritzt? Lasix?" fragte Michael zornig. "Sag mal, bist du vom Affen gebissen? Das kann dich die Approbation kosten!" Stefan sah ihn an. "Das war es wert" meinte er nur. Michael schüttelte verständnislos den Kopf. Dann bemerkte er die Beule in Stefans Schritt. Eindeutiger ging es kaum. "Das macht dich auch noch an?! Wenn eine Frau sich in die Hose pinkeln muss?!" "Dich etwa nicht?" fragte Stefan zurück. Michael verließ wütend die Praxis.

Wie die Geschichte mit Stefan und Christine weiterging, konnte er mir nicht erzählen. Er hat den Kontakt zu Stefan abgebrochen.

Auf meine Fragen, ob denn Stefans Vergehen so schlimm ist, dass eine zwanzigjährige Freundschaft daran zerbrechen musste, erklärte mir Michael Folgendes: "Caro, es geht nicht nur um das, was er tat. Es geht auch darum, dass er mich zum Komplizen gemacht hat. Und darum, dass er mit einem Recht hatte: Ja, es machte mich an. Sehr sogar. Dieses Bild von Christine, wie sie da im Flur stand und sich das Höschen nassmachte, das lässt mich seitdem nicht mehr los. Und Obsessionen haben in meinem Leben keinen Platz."

Ab und zu treffen wir uns, Michael und ich. Alte Schulfreunde eben. Wir sitzen dann beim Bier und bringen uns gegenseitig auf Stand. Nächste Woche werd ich ihm von Aurum erzählen.


Copyright for all contents: feuercaro (Author)

Alle Inhalte dieser Seite sind urheberrechtlich geschützt.
Unerlaubtes Kopieren und Vervielfältigen werden strafrechtlich verfolgt!