Kneipenimpressionen


Das Erlebnis am Elbstrand veränderte Freds Leben nachhaltig.

Zu Hause angekommen, verbrachte sie fast die ganze Nacht mit dem Ordnen ihrer Papiere, Studienunterlagen und Kontoauszüge. Am Morgen saß sie als erste am WG-Frühstückstisch, den sie (was ungewöhnlich war) für alle eingedeckt hatte. Nach und nach trafen ihre Mitbewohner in der Küche ein und rieben sich erstaunt die verschlafenen Augen.
"Nanu Fred? Wasn los? Schon wach oder immer noch? Is was passiert?"
Fred schenkte frischgebrühten Kaffee aus und grinste. "Jepp. Es is was passiert. Ich muss Zug in mein Dasein reinkriegen. Das schaff ich nicht alleine. Wollt ihr mir helfen?"

Und nun breitet Frederica ihren Schlachtplan aus.
Ihre Mitbewohner lauschten, zunächst irritiert - nach und nach aber voll angesteckt von Freds Eifer und Ideen.
"Du machst richtig Ernst, was?" meinte der lange Mark bewundernd. "OK, ich besorg dir den günstigen Laptop mit allem, was du brauchst. DSL leg ich für dich, musst ja nur an die Sammeldose. Danach kriegst du von mir ne Spezialeinweisung..." Alles lachte. Marks Faible für Fred war ja bekannt, auch wenn sie immer noch so tat, als bemerke sie nichts davon.
Die anderen hatten Fred zwar irgendwie gern, aber eng befreundet war niemand mit ihr. Alle mussten ja arbeiten, teils neben dem Studium und fanden es schon irgendwie ungerecht, dass Fred Monat für Monat von zu Hause Kohle bekam, quasi für's Nichtstun und Party machen.

Fred erzählte weiter: "Keine Ahnung, wie lange ich noch Geld aus Düsseldorf krieg. Ab sofort wird eisern gespart. Ich brauch dringend einen Job, egal was. Kann mich ja nicht drauf verlassen, dass das ewig so weitergeht. Na, und dann muss ich noch ungefähr ein Semester nacharbeiten - war eben faul. Mir fehlen noch Scheine für die Prüfungen."

"Kannst nachher gleich mal mitkommen. In der Kneipe, wo ich den Schergen mach, hat wieder ne Kellnerin hingeschmissen. Der Chef dreht am Rad... Allerdings ist das ne Premiere Sports Bar. Das Publikum isn raues Volk. Brauchst n dickes Fell." Nils grinste. Fred zwischen den Fußballfans, das stellte er sich lustig vor. Zu seiner Überraschung nickte sie. "Ja sicher. Versuchen kann ich es ja mal!"

Die nächste Woche war hektisch. Uni, Studienberatung, Fach gewechselt. Neugriechisch war wohl doch nicht SO dolle gefragt auf dem Arbeitsmarkt. Also BWL. Die Vorstellung in der kleinen Kneipe verlief kurz und schmerzlos. Sieben Euro plus Tipp bei ner Acht-Stunden-Schicht. Der Chef hatte sie von oben bis unten gemustert. "Zieh dir am Besten was Luftiges an. Die Jungs stehn da drauf und wenn du dann noch freundlich lächelst und nicht zickst, greifst du mehr Tipp ab, als Gehalt. Morgen um 18 Uhr fängst du an."

Und so stand Fred bald "mitten in der Nacht" auf (gegen 8 Uhr morgens), eilte zur Uni, arbeitete danach zu Hause am Computer an Referaten und lernte. Abends erschien sie frisch geduscht im knappen Top und Mini in der Kneipe und schleppte Bier. Zu ihrem eigenen Erstaunen machte ihr der Job Spaß. Schnell lernte sie, zu zapfen, die Fässer im Keller zu wechseln, die Abrechnung zu machen. Der Chef (ein knurriger Typ, der noch weitere zwei Kneipen im Viertel besaß), begann, sich auf sie zu verlassen. Die Gäste mochten Fred. Sie sah knackig aus, hatte immer gute Laune und konnte einen Schnack ab.

Blöd nur, dass er sie immer öfter alleine ließ. In den anderen Kneipen lief es nicht so toll und so guckte er abends kurz rein, besprach mit Nils (der für die Küche zuständig war) die Gerichte für den nächsten Tag, klopfte Fred auf die Schulter und verschwand wieder. An normalen Tagen ging das einigermaßen. Fred war gut eingearbeitet, kannte sich aus. Sie war flink...

Dann kam der Tag des Länderspiels. Eigentlich sollte Fred Verstärkung bekommen - aber das Mädel war einfach nicht erschienen. Noch nicht mal angerufen hatte sie. Fred versuchte, ihren Chef auf Handy zu erreichen. Mailbox! Nils seufzte. "Das wird n Höllenritt heute abend. Wenn es so voll wird wie letztes Mal, kann ich dir vorne nicht helfen. Fußballgucken macht hungrig. Ich werd wahrscheinlich wegfliegen in der Küche. Lass uns wenigstens gut vorbereitet sein." Sie gingen in den Keller und checkten die Fässer. Alles okay. Kohlensäure voll, Guiness, Newcastle und Astra auch. Mehr konnte man nicht tun.

Gegen halb acht kamen die ersten Gäste. Um acht war der Laden voll. Eine Essensbestellung jagte die nächste. Nils wirbelte wie angestochen - schichtete Kartoffelsalat neben Frikadellen, häufte Bolognese-Sauce auf Spaghetti-Teller und rief ab und zu die fertigen Gerichte nach vorne. Fred hatte 15 Biergläser gleichzeitig in der Mache, schrieb hektisch Zettel und nahm neue Bestellungen auf. Um 21 Uhr war Anpfiff.

Es gab keine Pause. "Ey Tresenschlampe, bring uns mal 3 helle Weizen, vier Pils und ein Guinness!" gröhlte es von Tisch fünf. "Wo bleibt mein Futter?!" nölte der Bodybuildertyp am Tresen. Freds "Ich bin unterwegs" ging in allgemeinem Tumult unter. Der Gegner hatte das Führungstor erzielt.

"Ganz ruhig" ermahnte sie sich innerlich. Konzentriert erledigte sie die Aufträge, ließ sich nicht nervös machen. In der Halbzeitpause schwoll die Flut der Ordern weiter an. "Das wird der Umsatz des Monats" dachte sie bei sich. Wenn die Jungs beim Tippen so großzügig waren, wie beim Saufen, konnte das ein guter Abend für sie werden.

Gegen 22 Uhr musste sie das erste Mal auf die Toilette. Aber daran war überhaupt nicht zu denken. Das Personalklo war im Keller, sie musste durch eine Extra-Tür, die Wendeltreppe runter und dann noch einen ellenlangen Flur lang. Das Ganze zweimal plus Verrichtung bedeutete knapp 10 Minuten, in der der gesamte Gastraum unbewacht war. Das ging einfach nicht. Seufzend riss sich Fred zusammen. Nach einer Viertelstunde Gehetze vom Tresen zu den Tischen und zurück warf sie einen Blick in die Küche. Nils stand schweißüberströmt am Herd und jonglierte zwei Pfannen mit Bratkartoffeln. "Nils? Kannst du gleich mal kurz nach vorne? Ich müsste mal kurz runter?" Nils sah sie mit gejagten Blick an. "Fred, wie stellst du dir DAS denn vor? Ich kann hier nicht weg, echt nicht. Geh doch einfach, die kommen auch mal kurz ohne dich aus!" Er wandte sich wieder zum Herd.

Fred erinnerte sich, was der Chef ihr eingeschärft hatte. Niemals die Kasse unbewacht lassen! Während sie fahrig weiter Bier zapfte, überlegte sie fieberhaft Alternativen. Okay, würde sie eben ausnahmsweise mal aufs Gästeklo verschwinden. Das lag näher, nur einen kleinen Flur lang. Frei war das Frauenklo ja garantiert - keine Mädels heute da, beim Spiel. Und die Kasse? Sie würde einfach die Scheine rausholen und mitnehmen. "Vier große Pils, ein dunkles Weizen, zweimal Bauernfrühstück!!" brüllte es vom Tisch vor der Großbildleinwand. Fred schrieb die Bestellung auf den Zettel und gab die Essen an Nils weiter. Als sie in der Tür zur Küche stand, musste sie schon die Beine kreuzen. "EY, nu GEH endlich, Fred!" schnauzte Nils nach einem kurzen Blick auf sie. "Ja gleich. Erst noch die Biere an den Tisch..."

Als sie das schwere Tablett anhob, wär ihr fast etwas in den Schlüpfer gegangen. Fred kniff die Schenkel zusammen, holte tief Luft und brachte das Bier zu den Durstigen. Auf dem Rückweg hatte sie Visionen von erlösenden Toilettenschüsseln. Jetzt! Jetzt oder es wäre zu spät. Sie lief zur Kasse, schnappte sich das Bündel Geldscheine und stopfte es sich unter das Top. Schnell rannte sie Richtung Damentoilette. Im Laufen passierte es. Das Bündel rutschte unten aus dem Top heraus und die Scheine flatterten munter über den halben Flur.

Ensetzt sah Fred auf den Boden. Sie musste das Geld aufsammeln, klar. Aber wenn sie sich jetzt bückte... EGAL! Als sie etwa zwei Drittel der Kohle zusammen hatte, spürte sie, wie es zu tröpfeln begann. Hin- und hergerissen zwischen Notwendigkeit und Verzweiflung machte sie weiter. Schließlich stand sie, mit dem Rücken an die Flurwand gelehnt, das Geld in der Hand und fühlte, wie es ihr die Schenkel hinabrann. Sie musste so dermaßen, dass ihr ein Schauer über den Körper lief. Mit aller Anstrengung versuchte sie, anzuhalten. Es ging einfach nicht. Sie trippelte zur Tür des Frauenklos, eine Hand zwischen den Beinen, die andere fest das Geld umklammernd. Die ganze Zeit pinkelte sie, unaufhaltsam. Es lief ihr die Waden entlang, in die Sandalen, hinterließ eine dunkle Spur auf dem Linoleumboden.

Mit der Schulter drückte sie die Tür auf und floh in eine Kabine. Breitbeinig stand sie über der Schüssel und ließ locker. Es strullte laut und plätschernd. Endlich war es vorbei. Ihr Höschen war klitschnass. Sie hoffte inbrünstig, dass der Mini nichts abbekommen hatte. Schnell zog sie den Slip aus und trocknete sich mit Toilettenpapier ab. Fred drehte den Rock. Nichts zu sehen, wie schön. Aber den nassen Schlüpfer wollte sie nicht wieder anziehen. Nicht ohne Risiko bei dem kurzen Mini. Musste sie eben aufpassen. Es dauerte Minuten, bis sie die Sandalen und die Füße trocken hatte. Ängstlich trieb sie sich zur Eile. Fred warf den Slip nicht ohne Bedauern in den Mülleimer. Jetzt noch kurz Hände waschen...

Als sie wieder zum Tresen kam, war schon die Hölle los. Ein halbes Dutzend Kerle standen an, um zu zahlen. Mitten in die Abrechnungen hinein bellten neuen Bestellungen durch den Raum. Doch Fred hatte ihre Ruhe wieder. Besonnen erledigte sie eins nach dem anderen.

Nach dem Abpfiff wurde es beschaulicher. Die eigene Mannschaft hatte das Ruder rumreißen können, die Gäste waren gut drauf. Das musste begossen werden. Irgendwann kam auch Nils aus der Küche wieder nach vorne. Kurz vor Mitternacht warn nur noch 10 Leute da und so war es keine Katastrophe, dass das letzte der in Reihe geschalteten Astra-Fässer leer war und gewechselt werden musste. "Ich helf dir!" meinte Nils freundlich. "Okay, aber ich geh zuerst die Leiter runter" grinste Fred zurück. Nils stutzte. Im Keller wechselten sie die Fässer. "Na, war knapp vorhin, was?" fragte er. "Ich wollte dich echt nicht hängenlassen, aber ich konnt ja schlecht das Essen..." "Schon gut" antwortete Fred. "Ich hab mir zwar aufm Weg zum Klo das ganze Höschen nassgemacht aber sowas gehört wohl dazu." Nils ließ fast den Anschluss-Schlauch fallen. "Du hast dir in die Hose gepinkelt?" "Und wie! Volle Kanne. Ich lauf hier gerade unten ohne rum" grinste Fred frech zurück. Nils schluckte.

Später kam der Chef vorbei und sie zählten zu dritt die Tageseinnahmen. Anerkennend pfiff der Alte durch die Zähne. "Das ist Rekord. Wie war die Neue eigentlich? Warum ist die denn schon weg?" "Ooooch Chef, die Trulla ist gar nicht angetreten. Ich hab das auch etwa 200mal auf Ihre Mailbox gegeben, aber Sie haben ja nicht zurückgerufen" sagte Fred beiläufig. Der Chef guckte schuldbewusst. "Ja, ich stand ja auch im anderen Laden selber am Hahn, da hab ich gar nicht aufs Handy geguckt...Na gut, bleibt für Euch eben mehr übrig. An solchen Abenden geb ich Bonus. Teilt euch dann eben die 100 Euro extra." Nils und Fred strahlten. Plus Tipp lag Fred damit bei 250 Euro. Schön blöd, die Neue.

Kurz nach 2 Uhr morgens fuhren Nils und Fred zur Feier des Tages mit dem Taxi nach Hause. Die paar Kröten waren wirklcih mal drin, nach so einer Schicht. "Nils? Ich wär dir dankbar, wenn du gewisse Einzelheiten des heutigen Abends NICHT in der WG erzählen würdest..." begann Fred. "Schon klar. Wollte dir sowieso noch was sagen. Hab dich unterschätzt, Frederica. Lieferst seit Wochen einen Törn ab, alle Achtung. Weißt du, ich glaub, du schaffst das locker ohne deinen Pappi."

Fred guckte durch das Autofenster in die regennasse Nacht. Die Neonreklamen der Geschäfte leuchteten heute intensiver als sonst, schien ihr. Hamburg. Ja. Sie würde bleiben.

:-)




Copyright for all contents: feuercaro (Author)

Alle Inhalte dieser Seite sind urheberrechtlich geschützt.
Unerlaubtes Kopieren und Vervielfältigen werden strafrechtlich verfolgt!