Verzockt


Prolog:
Diese Geschichte ist ein Beispiel dafür, was im Netz möglich ist. Wie sehr das Netz in den letzten Jahren die Verhaltenweisen von Menschen beeinflusst hat. Diese Geschichte spielt in AURUM. Sie ist ein Beispiel für die unglaublichen neuen Möglichkeiten, die man plötzlich hat - und für die Strudel, in die man hineingeraten kann, wenn die virtuelle Welt pötzlich real wird.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen in Aurum wäre natürlich rein zufällig und ist nicht beabsichtigt.

VERZOCKT

1. Teil - Die Karten werden ausgegeben

Milan saß am Aurum Chat Tisch und wartete auf das Blatt, was er heute nacht in Händen halten würde.
Die letzten Male hatte er nur Luschen abgegriffen - Fakes, langweilige Chatter, einsame Kerle, die rumjammerten, wie schwierig es ist, eine Frau zu finden, die diese gleiche Leidenschaft hätte...
Eigentlich hatte er wenig Lust gehabt, mitzuspielen. Lange schon kam er nur noch sporadisch in den Chat.
Aber heute hatte er nichts Besseres vor, also...

Wer war denn das? "Claudia"? Aha... Ohh... Eine Frau, die echt schien. Sie war munter, fröhlich - berichtete offen darüber, wie sehr sie gerade musste, wibbelte herum... Milans Interesse erwachte. Er spürte ihre anwachsende Fahrigkeit. Dennoch chattete sie unverdrossen auch um andere Themen herum. Wie sie schreiben konnte. Intelligent war sie. Okay. Was noch? Aha, sie interessierte sich für Musik. Bücher. Philosophie. Das Leben an sich...Ihre Warmherzigkeit schien durch alle ihre Sätze hindurch. Milan nahm die Herz Dame an. "Herz ist Trumpf!" verkündete er - und begann, das Spiel zu spielen.

°°°

Claudia hatte ihn in Aurum kennen gelernt. Er war einer derjenigen, die auf Desperation standen - sowohl bei sich selbst - als auch bei Frauen. Sie selber liebte Desperation - das Gefühl, eine volle Blase zu haben, immer unruhiger zu werden. Den Wettkampf mit ihrem Körper aufzunehmen. Es war ZU geil, sich dabei zu beobachten, wie sie ihre Zappeligkeit nur noch schwer unter Kontrolle hatte. Wie sie fahriger wurde, nicht mehr stillsitzen konnte - oder stillstehen. Claudia provozierte diesen Zustand recht oft. Sie trank viel und begab sich mit Vorliebe in Situationen, wo jeder andere sich gesagt hätte: "Mensch, geh aber vorher noch mal..." - Konferenzen, lange Spaziergänge, Besorgungen aller Art.

Es machte sie an, im Supermarkt in der Schlange zu stehen, mühsam beherrscht und um Fassung ringend - die Umstehenden sollten ja nichts bemerken. Es kickte sie, in Konferenzen mit zusammengepressten Schenkeln zu sitzen, kerzengerade und zu WISSEN, dass sie nicht mehr lange hatte... Nur sie allein wusste es, niemand sonst. Sie verließ abends das Büro, mit knallvoller Kaffeeblase und stand dann auf dem Firmenparkplatz vor der Fahrertür ihres Autos, Beine gekreuzt und inständig hoffend, dass sie es noch trocken bis nach Hause schaffen würde. Mehr als einmal hatte sie schon im Treppenhaus fast nicht mehr anhalten können und tänzelnd versucht, den Wohnungsschlüssel ins Schloss zu fummeln, die andere Hand zwischen den Beinen. Wenn sie es dann nicht mehr aushalten konnte, und im Flur oder noch einen Meter vor der Toilettenschüssel stehend, in den Slip pisste, die ungeheure Erleichterung spürte, die Geilheit, BOAH.. Wie es warm und nass an ihren Beinen herunterlief, plätscherte und sie endlich endlich kommen konnte..
.

Als sie Aurum fand, war sie wie erlöst. Nicht nur, dass sie Gleichgesinnte fand, sie sah sich plötzlich einer Reihe von Männern gegenüber, die genau diese Vorliebe von ihr äußerst reizvoll fanden. Sie spielte. Sie spielte mit dem Begehren Fremder - und sie genoss es in vollen Zügen. Das erste Mal, als sie im Chat zugab, dringendst zu müssen, war schon heftig. Sie erfuhr
gespannte Aufmerksamkeit, Begleitung und - okay, es war einfach GEIL, dass sie Kerle SO hochbringen konnte, damit.

Milan interessierte sich recht früh - und er war anders als die stumpfen Prolls, die sie gleich fragten: hast du ne volle Blase? Musst du mal? Er schrieb ihr Mails...

Er schrieb, wie fast um sein Leben. Milan begriff sie instinktiv, fühlte sich in sie hinein, malte ihr Szenarien aus, hofierte sie geradezu. Sie begann, ihm zu vertrauen... Sie begannen, zu telefonieren. Er umschnurrte sie, brachte sie hoch, ließ sich von ihr quälen - denn auch er stand auf Desperation. Auch er wartete bis zum allerletzten Moment, auch er genoss es ungeheuer, sich in ihre Hände zu geben. Sie befahl ihm am Telefon, gefälligst zu warten, bis sie nicht mehr konnte... Meist, wenn es zu Ende war, nahm er das Telefon mit in sein Bad und sie hörte fasziniert zu, wie druckvoll er pisste, wie unendlich lange... Es machte sie an, es gefiel ihr.

Aber etwas anderes kam dazu, im Laufe der Zeit. ER gefiel ihr. Seine sanfte Stimme, sein schleppender Singsang. Sie fingen an, sich auch über andere Dinge zu unterhalten. Es war ihr, als hätte sie endlich eine Heimat gefunden. Er war so unendlich aufmerksam, so bedacht darauf, ihr genau zuzuhören. Sie fanden Gemeinsamkeiten, mochten die gleiche Musik, hatten ähnliche Ansichten über das Leben - und sie lästerten fröhlich über die unvermeidlichen Aurum Fakes. Claudia freute sich manchmal den ganzen Tag auf seine abendliche SMS: "Tel? bitte..!"

Wann hatte es angefangen? Wann hatte er das erste Mal "Ich liebe Dich" gesagt? Tonlos flüsterte es und sie hörte sich mit zugeschnürter Kehle "Ich Dich auch..." wispern. Er schrieb ihr, ohne zu wissen, wer sie war, er behauptete inbrünstig, dass er sie lieben würde, so sehr lieben, dass es ihm egal sei, wie sie aussah. Sie schickte ihm ein Bild. Er überschlug sich fast vor Begeisterung - von ihm bekam sie auch welche. WOW. Was für ein Kerl... Verhuscht, nicht mehr jung, klug- er sah klug aus, irgendwie. Es passte alles, er WAR ja auch klug, intellektuell, belesen, gebildet. Sie konnte gar nicht glauben, dass sie so jemanden tatsächlich gefunden hatte.

Eines nachts chatteten sie, es war schon sehr spät - alle anderen waren gegangen. Er sprach von seiner Sehnsucht nach ihr. Sie nahm einen langen Anlauf und berichtete ihm, dass er möglicherweise ein anderes Bild von ihr im Kopf hätte. Sie erzählte ihm wahrheitsgemäß, dass sie sehr groß sei, sehr üppig und dass ihre Erscheinung ingesamt mit "imposant" noch recht vorsichtig umschrieben ist. Er wischte lachend ihre Bedenken weg. Das wüsste er doch schon längst. Das sei ihm seit Monaten klar. Er könne schließlich zwischen den Zeilen lesen. SIE würde er lieben. Ganz und gar...

°°°

Das Spiel sah GUT aus für Milan.
Eigentlich schon fast ZU gut. Er hatte eine Herzstraße auf der Hand - und spielte alle seine Trümpfe aus, nacheinander. Fast schon ein "Oma-Spiel" dachte er bei sich. Es war so leicht gewesen, sie zu gewinnen.

Claudia hatte beschlossen, ihm zu vertrauen. Sie hatte nicht vor, eine klassische Beziehung mit ihm anzufangen. Das hatte viele Gründe. Erstmal wohnten beide 500km auseinander, dann war da noch ihr vollgepacktes Leben in Hamburg. Vor allem die Tatsache, dass Claudia seit 10 Jahren mit einem wirklich tollen Mann zusammen lebte, war so ein Punkt. Dieser Kerl hatte alles, was Claudia je wollte - er war zuverlässig, phantasievoll im Bett, sah verdammt gut aus - okay, er war jünger als sie - aber SO WHAT. Nur: Leider teilte er ihre spezielle Vorliebe nicht. So überlegte sie...
Vielleicht bekäme man es hin, Milan so alle 4 bis 8 Wochen zu sehen, für ein paar Tage? All die geilen Dinge zu tun, die man am Telefon schon so oft miteinander getan hatte? Milan schien hingerissen - und sie fuhr zu ihm.

Es waren wunderbare zwei Wochen - obwohl...
So sehr sie sich verstanden, so heiter und entspannt sie miteinander reden konnten - es fehlte etwas. Sie hatte sein Bett inspiziert, keine Gummiunterlage, aha. Die Wohnung war teuer möbliert, sehr stilvoll. Helle Auslegeware... Ein funkelnagelneues Ledersofa... Er war geradezu pedantisch ordentlich. Jede Tasse wurde sofort abgewaschen, jeder Krümel weggewischt. Sie bemühte sich, seine Systeme nicht durcheinander zu bringen. Suchte sich ein Eckchen für ihre Klamotten in seinem Schlafzimmer, weil er sie gebeten hatte, ihr Gepäck doch aus dem Flur zu schaffen.

Sie machte Anläufe, mit ihm Spielchen zu spielen... Aber auf dem Sofa konnte sie keinesfalls riskieren, in die Hose zu pinkeln, im Bett auch nicht, es blieb eigentlich nur das Bad. Auch er machte keinerlei Anstalten, ihre virtuellen Spiele real werden zu lassen. Ja okay, sie gingen nur aufs Klo, wenn es unbedingt nötig war - aber sonst? Im Bett war es ähnlich - er genoss es, sich dominieren zu lassen, das wusste sie. "Mein Schwanz gehört Dir, nur Dir allein... mach mit ihm, was Du willst..." Als sie ihn aber eines nachts dazu brachte, knallvoll im Bett unter ihr zu liegen, wurde er blass. Er brach das Spiel ab, flüchete ins Bad. Okay. Sie fand sich damit ab, dass er eben real zu mehr nicht bereit war. "Mein kleiner Maulheld" dachte sie noch bedauernd. Aber sie liebte ihn ja schon. So verzichtete sie schweren Herzens auf genau den Teil ihrer Sexualität, den sie so geil fand, um seinetwillen. Viel später versuchte sie es nochmal vorsichtig: "Ich würde gern so viel ANDERE Sachen mit Dir machen..." Er ging nicht
wirklich darauf ein, und so akzeptierte sie wehmütig. Wenn er so war, dann war das eben so. Nix zu machen, okay. Klar, sie hätte härter mit ihm sein können, fordernder.
Aber ihr war die Liebe dazwischen gekommen.

°°°

2. Teil - Neues Spiel

Gewonnen!
Milan suhlte sich in seinem Erfolg. Das war ja einfach gewesen! Ein wenig Liebesgesäusel, dazu seine Mails... Milan schrieb gern Mails. Er war ein Meister der Sprache und ganz besoffen von seinen eigenen Formulierungen. Wieder und wieder las er seine Antworten auf Claudias E-Mails. Wie schön ausgedrückt. Claudia war wohl doch einfacher gestrickt, als er dachte. Nun hatte er sie.
Nur leider war Einiges dabei auf der Strecke geblieben. Er hatte sie dermaßen mit seiner Sanftheit bezaubert - wie sollte er da denn jetzt bloß wieder raus? Harte Spielchen wollte er erleben. SEX, ja SEX der aurumianischen Sorte. Am Telefon war das doch immer so leicht gewesen, mit ihr. Aber nun war sie zu Besuch gekommen, einige Male. Er schlief gern mit ihr, ja. Aber irgendwas in ihm schreckte davor zurück, die Telefonspiele real werden zu lassen.
Sie kannten sich zu gut. Er mochte sie zu sehr. Die Distanz fehlte ihm auf einmal. Und plötzlich begann er, Dinge an ihr festzustellen, die ihm nicht gefielen. Sie war eigentlich überhaupt nicht sein Typ. Er hatte doch immer eine zierliche kleine Süße haben wollen. Und dann kam da diese Wuchtbrumme aus Hamburg an. Herzlich, lieb, verschmust. War es das, was er wollte?

Eines Tages (Claudia war gerade mal wieder da) verabredeten sie sich mit Phaedra. Phaedra war eine andere Chatterin, die in der Nähe wohnte. Eine Frau, die hart war, dominant. Die Spiele spielte, die Claudia zu heftig fand. Aber Milan nicht...
Sie trafen sich in einem Lokal. Milan war fasziniert. Eine große, schlanke Frau mit eisblauen Augen. Sie warf ihn um.
Hoffentlich würde Claudia nichts bemerken...
Auf dem Heimweg war er still, fuhr die Autobahn lang. Claudia sah verwundert die Flecken auf seinem Gesicht.

Neue Karten wurden ausgegeben.
Milan zog die Kreuz Dame und hatte noch einige andere Kreuz auf der Hand. Hoffentlich würden die beiden verdeckten Karten dazu passen. Er hob sie auf. VERFLUCHT! Herz Dame und Herz As!

Das würde ein schweres Spiel werden. Aber Milan war Zocker. Er würde das schon schaffen.
"Kreuz ist Trumpf!" rief er in Richtung Phaedra.

°°°

Phaedra war vorsichtig.
Ihr Leben war nicht leicht gewesen. Sie hatte alles hinter sich - verarscht werden von Kerlen, bis hin zu dem Punkt, wo man sie benutzte. Das war lange her. Sie hatte sich geschworen, dass ihr NIE wieder ein Mann SO nahe kommen könnte, dass er in der Lage wäre, sie zu verletzen.

Aber sie war auch eine Frau, die FÜHLEN konnte. Ihr Erleben war facettenreich - sie hatte das weite Feld der Erotik bereist, und war entschlossen, sich zu holen, was sie brauchte.
Sie genoss die Reaktionen ihres Körpers. Sie war alles andere als prüde - fand aber selten Erfüllung mit einem anderen Menschen. Ihre Phantasien waren grenzenlos - ihr Mut auch.

Sie hatte Aurum entdeckt - und blieb.
Worum ging es in Aurum? Kontrolle und Kontrollverlust - Desperation. DAS sagte ihr was. Sie bretterte in den Chat, frech, rotzig und ungeschminkt. Männer? "Dreibeiner"? OKAY! Sollten die nur kommen! Phaedra flirtete, lebte sich aus. Es dauerte nicht lang, da war sie jemand, auf den man abends wartete. Genau wie auf Claudia, die schon länger dort war.

Mit Claudia verstand sie sich auf Anhieb. Okay, Claudia war ihr zu geduldig, viel zu sanft und langmütig. Aber Claudia hatte eine fast unendliche Toleranz und wurde gemeinhin angebetet. Das bewunderte Phaedra - und verachtete es gleichermaßen.
Sie bekam schnell mit, dass Milan und Claudia eine Beziehung hatten. Okay, sie mochte beide...

So fand sie es nicht weiter erstaunlich, dass Claudia ihr ein Treffen vorschlug, wenn sie bei Milan sein würde. Sie wohnte nicht allzu weit fort. Ein Lokal war schnell gefunden. Sie hatten einen wirklich schönen Abend zusammen. Claudia mochte Phaedra sofort und zeigte es ihr auch. Milan schien zurückhaltender.

°°°

Claudia war bekümmert. Ihrem Milan fehlte etwas, das merkte sie. Ihm fehlte der Pfeffer, das Aurumianische in der Beziehung. Außerdem war er ganz eindeutig ein Subbie - ein Mann, der sich gern dominieren ließ. Das konnte und wollte sie nicht ständig bedienen. Also ermutigte sie ihn, mit Phaedra Kontakt zu pflegen. "Telefonier doch mal mir ihr! Die hat bestimmt Sachen drauf, die dir gefallen!" Milan schien entsetzt. Wochen später erzählte er ihr, dass er es versucht hätte. "Claudia, es geht nicht. Phaedra ist viel zu hart. Sie ist unsensibel und verlangt SACHEN von mir - das will ich nicht. Stell Dir vor, ich sollte ne bestimmte Menge trinken, ganz schnell... Das mach ich nicht mit!"

Claudia akzeptierte die Erklärung mit Bedauern. Schade. Phaedra gefiel ihr. Das wäre das Richtige für ihren Milan gewesen. Aber egal - wenn er nicht wollte...

°°°

Milan spielte die Kreuz Karte aus.

Er rief Phaedra an. Es war nicht leicht, den Kontakt zu ihr aufzubauen. Sie begannen, in Aurum in den PC zu gehen, immer öfter. Sie chatteten im Yahoo. Milan überzeugte Phaedra, dass er Claudia von ihrem Kontakt erzählt hätte.
Und was für SPIELE sie spielten! Es war fast wie in den Anfängen mit Claudia. ENDLICH! Milan genoss es in vollen Zügen, wie Phaedra ihn führte. Sie befahl ihm, eine bestimmte Zeit auszuhalten. Er durfte tagelang nicht in die Kloschüssel pinkeln - nur ins Waschbecken, in die Badewanne. Er wurde beordert, an einem bestimmten Abend als einzige Möglichkeit, sich zu erleichtern, über die Balkonbrüstung zu pissen. Er tat es - schamerfüllt, verängstigt und so geil wie selten vorher in seinem Leben.

Sie ließ ihn warten.. tagelang - auf eine Mail, eine SMS von ihr.
Eines Tages befahl sie ihm am Telefon, sich ihren Namen mit wasserfestem Edding auf seine Eichel zu schreiben, davon ein Bild zu machen und es ihr zu mailen. Er wehrte sich nach Kräften - immerhin hatte sich Claudia am nächsten Tag für einen Besuch angesagt. Es half nichts. Phaedra blieb hart - denn sie hatte keinen Schimmer davon, dass Claudia Milan immer noch besuchte.
Auf ihre Nachfragen hin hatte Milan ihr nämlich erzählt, dass es mit Claudia schon lange vorbei sei.
Es sei schon im Sommer aus gewesen. Nur aus Anstand wäre er mit ihr noch an die Ostsee gefahren. Er hätte ihr bereits gesagt, dass es aus sei - aber sie würde es einfach nicht verstehen wollen.
Claudia sei lieb und nett - aber im Bett eben ne Nullnummer. Er wüsste schon gar nicht mehr, wie er es ihr nun beibringen sollte...

Also blieb Phaedra eisern. Milan tat, wie ihm geheißen und mailte das Foto.
Den ganzen folgenden Tag war er damit beschäftigt, sich wie ein Irrer ihren Namen von der Eichel zu schrubben. Seine Claudia, die Frau, die er ja liebte - wie er zuweilen selbst zu glauben meinte - sollte ja um Himmels Willen nichts bemerken.

So konnte es nicht weitergehen. Milan war hin- und hergerissen. Er musste Claudia irgendwie auf Abstand kriegen.
Als sie ankam, verhielt er sich distanzierter als sonst. Sie fragte nach. Er gab zu, dass er sie nicht lieben würde - also SCHON - aber nicht so, wie "sie es verdiente". Er würde sie lieb haben. Er würde jede Minute mit ihr genießen. Aber LIEBE. Nein. LIEBE sei das nicht. Er hätte so sehr versucht "dieses verdammte Gefühl" für sie zu entwickeln. Aber es sei eben nicht gelungen. Seine Schuld, klar. Mea culpa. Mea maxima culpa. Milan bekam es fertig, dass er Claudia Leid tat. Claudia, die tränenüberströmt in seinem Auto saß, als er ihr dies sagte.

°°°

Claudia hatte eine ungewöhnliche Eigenschaft. Sie war nicht eifersüchtig. Dieses Gefühl hatte sie lange hinter sich gelassen, in anderen Beziehungen vor vielen Jahren. Sie hatte sich befreit in diesem Punkt. So lange ein Mensch ehrlich zu ihr war, so lange er sie nicht belog, war für sie alles okay. Sie hatte die Nase voll von den kleinlichen Spielchen, den Besitzansprüchen, den Tragödien, die sich andere damit bereiteten. Sie nahm allerdings dieses Recht auch für sich in Anspruch. Sie war frei, liebte bedenkenlos und offen. Wenn sie mit jemandem zusammen war, der ihre Freiheit nicht hatte - also immer noch in den Fängen der Eifersucht hing, na - dann schwieg sie eben über die Freiheiten, die sie sich nahm. Warum jemandem weh tun?

Wusste er das nicht?

Auf einer Sache aber bestand sie. Ein Mann, der sie haben wollte, musste sie lieben. Völlig. Mit Halbheiten gab sie sich nicht ab.

Und jetzt DAS???

Es traf sie mit ungeheurer Wucht. Sie versuchte, sich zu beherrschen, aber die Tränen liefen ihr die Wangen hinab. So war das alles Lüge gewesen, von Anfang an? Und sie hatte sich ihm geöffnet, absolut und ohne Verstecke. Sie kam sich erbärmlich vor, klein und dumm. Sie erinnerte sich an die Telefonate, an die Mails, an seine Schwüre, seine Bekenntnisse. Alles nur Theater? Alles nur, um sie ins Bett zu kriegen? Und SIE war drauf reingefallen! Sie konnte nicht wütend auf ihn werden. Milan fuhr stumm weiter, weinte dabei. "Es tut mir so leid, dass ich Dir so weh tu. Ich wollte Dir nicht wehtun..." Claudia riss sich zusammen.

Alles war anders, von diesem Moment an. Claudia fuhr nach Hamburg zurück, weinte die ganzen 6 Stunden lang auf der Autobahn leise vor sich hin. In Hamburg angekommen, fasste sie einen Entschluss. Sie konnte auf keinen Fall so weitermachen. Dann war es das eben mit diesem Mann. Später sagte sie es ihm am Telefon. "Ich werde nie wieder zu Dir fahren. Wenn Du willst, lös ich mich in Luft auf. Keine Telefonate mehr, keine SMS und ab sofort eben "nur" noch Freunde, okay?"
Aber DAS wollte er auch nicht. Ellenlange Mails von ihm folgten. Die Bitte, auf ihn zu warten, doch Geduld zu haben. Er könne von ihr nicht verlangen "ins Leere zu lieben". Er verstünde ihre Reaktion. Aber er möchte das doch behalten, dieses Gefühl, sich total mit ihr entspannen zu können "Dies Gefühl, an dem ich mich so ergötze".

Milan spielte das Herz As aus.

Er ließ nicht los.
Milan antwortete ihr auf ihre Versuche, die Beziehung auf "Freundschaft" zu switchen. Er beschwor sie, nicht alles fortzuwerfen. Beschrieb, wie elend er sich fühlte. Machte ihr Hoffnung, immer wieder, dass er eines Tages.... sie lieben würde.

Claudia ermutigte ihn immer wieder, den Kontakt zu Phaedra, der anderen Aurumianerin, zu intensivieren. Sie mochte Phaedra. Ihre rotzfrechen Kommentare im Chat. Ihre harte Gangart, Männern gegenüber. Sie spürte, dass Phaedra bei aller Distanz sehr tief empfinden konnte - geradezu ein phantastisches Gefühl für Situationen hatte. Was mag sich für ein Mensch dahinter verstecken? Ein verletzlicher, großartiger. Dessen war sich Claudia sicher.

Doch Milan wehrte ab.

°°°


Es war zu Ende.


Claudia begriff nicht, warum die Welt sich noch drehte. Warum es morgens hell wurde und abends wieder dunkel, wie jeden Tag. Die Menschen schienen unverändert. Sie lachten, stritten, gingen ihren alltäglichen Verrichtungen nach.

Sie bemühte sich, das Spiel mitzuspielen. So zu tun, als wäre das alles hier die Wirklichkeit. Als wäre sie nicht in diesen Alptraum geraten, aus dem es kein Erwachen mehr zu geben schien.

Alles fühlte sich völlig fremd an. Die Farben waren verschwunden. Ein grauer Himmel lag schwer auf der grauen Stadt.

Claudia stolperte durch ihr neues, fremdes Leben.
Sie war aufgestanden, mit einem Gefühl, als hätte sie jemand nachts im Bett in 1000 Teile geschnitten und verkehrt wieder zusammen gesetzt. Keine Bewegung war mehr selbstverständlich. Nichts ging mehr von allein. Auf dem Weg in die Küche setzte sie einen Fuß vor den anderen und musste sich zwingen, nicht zu fallen.
Jeder Atemzug war eine Anstrengung. Die Luft schien mit lauter kleinen Rasierklingen durchsetzt.
Ihr Herz schlug - es SCHLUG. Schlug sie von innen, schmerzhaft und hart.

Ein Glas Wasser trinken. Hohl klingend rauschte der Strahl ins Glas. Sie versuchte, zu schlucken. Ihre Kiefer gehochten ihr kaum, als sie den Mund öffnete, das Glas ansetzte. Die kalte Flüssigkeit brannte in ihrem Mund. Ihr war, als hätte sie ein Knäuel scharfer Stahlputzwolle im Hals.

Alles tat ihr weh.
Ihre Augen - jeder Lidschlag schien Sand über die Augäpfel zu scheuern. Wann hatte sie geweint? Heute morgen beim Einschlafen, ja. Das Salzwasser ihrer Tränen war in den Kissenbezug gelaufen und hatte dann die Haut ihrer Wangen rauh und rot werden lassen.
Claudia konnte nicht mehr weinen. Ihr war, als würde nie wieder ein Laut über ihre Lippen kommen können.

Sie hatte irgendwann aufgegeben. Keine Erklärungen mehr. Keine Fragen.

Das Einzige, was sie noch hatte, war Aurum. Der Chat in Aurum. Die Menschen, die sie kannte. Sie riss sich zusammen und ging da rein. Jede Nacht. Totenbleich saß sie vorm Monitor und tippte heiter klingende Sätze. Nur niemanden enttäuschen.

°°°

Phaedra wurde langsam ungehalten.
Diese Claudia kam Nacht für Nacht in den Chat.. plauderte munter, als wäre nichts. Dabei erzählte ihr Milan doch die ganze Zeit, wie nervig es gerade sei mit ihr. Sie würde ihn mit Mails überschütten - er wüsste sich gar nicht mehr zu helfen. "Dann antworte doch einfach nicht!" riet Phaedra ihm.

Jetzt erzählte sie gerade wieder was im Chat. Von einem Hamburger Zuhälter, der sich erhängt hatte (haha). Phaedra reichte es. "Warum gibst Du solchen Typen denn hier noch ein Forum?!" schnauzte sie. Claudia ging hoch wie eine Rakete. DAS hätte Phaedra lieber nicht sagen sollen. Claudia hasste Luden aus tiefstem Herzen. Phaedra war überrascht von Claudias Reaktion. Sie schrieb "Du bist die ganze letzte Zeit schon so seltam! Das hängt ganz bestimmt mit Milan zusammen!" Diese Bemerkung konnte Claudia nicht mehr unterbringen. Was wollte Phaedra von ihr? Von Milan war doch gar nicht die Rede gewesen?

Am nächsten Tag bekam sie eine Mail von ihm.
So eine Mail sollte niemand bekommen müssen, der liebt. Niemand. Milan bat sie, in gesetzten kalten Worten darum, nicht "böse" mit den Menschen zu sein, die Kontakt zu ihm hätten. "Da ist unsere Phaedra, verletzlich und hart, eine flirrende Persönlichkeit..."

Die ganze Mail klang fremd. Sie war so anders als alles, was er ihr noch einen Tag vorher geschrieben hatte.
Claudias Reaktion war wütend und verletzt. Sie mailte ihm, wie sehr sie Phaedra mochte. Was sich wirklich im Chat abgespielt hätte - und wie abgrundtief gemein es von ihm sei, ihr zu unterstellen, sie sei "böse".

Milan entschuldigte sich wortreich.

Doch Claudia fand keine Ruhe mehr. Sie rief Phaedra an...

°°°

Milans hohe Kreuz-Karten waren zu Ende. Er hatte nur noch eine Herz Dame auf der Hand. Aber würde er sie spielen wollen?
Er behalf sich mit Kreuz Zehn, Kreuz Neun....

Claudia und Phaedra redeten.
Nach wenigen Minuten waren sie auf dem Punkt - MILAN. Phaedra berichtete freimütig von ihren Telefon Kontakten. Claudia schwieg entsetzt. Erzählte ihr von seinen Mails- in denen er sie beschwor, ihm das nicht wegzunehmen, die Zeiten mit ihr. Seine Reaktionen auf ihr Angebot "Ab heute nur noch Kumpels, okay?". Phaedra konnte es nicht glauben. "Von WANN sind die??" Claudia kam sich vor, wie die Jungfrau von Orleans - verzweifelt ihre Ehre verteidigen müssend.
"Phaedra, ich schick sie Dir... Moment..."
Sie blieb am Telefon als Phaedra die Mails las - mit Datum.
Sie hörte Phaedra schreien vor Zorn.

"Ich schick Dir mal was..." meinte sie schließlich. Und im Folgenden konnte Claudia nachlesen, Wort für Wort, was ihr Milan in den vergangenene Monaten an Phaedra geschrieben hatte.
Alles, E-Mails, Chat Protokolle... heiße Chats im Yahoo, die beide hatten während sie gleichzeitig im Aurum Chat waren und sich "so nebenbei" mit Claudia unterhielten.
UND die eine E-Mail, die kalte E-Mail. Beiden wurde sofort klar, dass Milan diese Mail gar nicht für Claudia geschrieben hatte - sondern für Phaedra - damit sie SÄHE, wie sehr er mit Claudia fertig sei. Diese Mail hatte er Phaedra als "Abschiedsmail" von Claudia verkauft, sorgsam alle vor- und nachfolgenden Mails verschweigend.

Claudia las, dass er Phaedra "Süße" nannte (war das nicht immer IHR Kosename gewesen), wie bereit er plötzlich gewesen war, über Vorlieben zu reden. Dass er sich ein Zepter aus einem Katalog bestellt hatte... nur für sie.

Claudia schrie nicht. Claudia las, ging ins Badezimmer und übergab sich eine geschlagene Stunde lang.

Dann unterhielten sich die Frauen - den Rest der Nacht...

°°°

Phaedra lockte ihn. Lockte ihn mit Mails, verhalten verheißungsvollen Mails. Er sprang sofort drauf an. Sie wollten sich treffen. Phaedra hatte einen Abend im Lokal vorgeschlagen, zusammen mit anderen, zusammen mit Claudia. Milan wehrte ab. "Nein, es ist besser, wir beide sehen uns. Das sind WIR..."
Als Claudia (die alle Mails in Kopie von Phaedra bekam) dies las, ging ihr ein Stich mitten ins Herz. Ihr gemeinsames Lied mit Milan war "This is us" von Emmylou Harris und Mark Knopfler gewesen. Konnte sich dieser Mann denn nicht wenigstens EINMAL etwas Neues ausdenken?

Wie oft benutze er Formulierungen, die er ihr gegenüber verwendet hatte? Tausendfach..."Kuss auf die Quelle, meine Süße...". Claudia spürte, dass alles nur Masche gewesen war. Phaedra und sie waren offenbar nur zwei unter anderen. Wieviele Spiele hatte Milan denn NOCH laufen, neben ihnen?

Die beiden Frauen spielten nun ihr eigenes Spiel - und Milan hatte keine Ahnung - tappte weiterhin Phaedra hinterher und belog Claudia am Telefon. Er wäre momentan in einer "asexuellen Phase" - Aurum würde ihm nichts mehr sagen. Aber wenn das Frühjahr käme, ja DANN... dann wäre alles anders. Ob sie warten könnte, auf ihn?

Irgendwann beschlossen Phaedra und Claudia, dass es nun reichte.
Sie waren inzwischen zusammengerückt - mehr noch - hatten Gefallen aneinander gefunden :-) - und:

Milan hatte sich mittlerweile unwissentlich ausreichend zum Affen gemacht.

Claudia schrieb ihm eine Mail, in der sie ihn darüber aufklärte, dass sie Bescheid wusste, schon eine ganze Weile. Dass sie seine Mails an Phaedra alle kannte, seine Chats mit ihr im Blog nachgelesen hatte. Es sei zu ENDE.

°°°

Milan saß allein am Spieltisch.
In seiner Hand immer noch die Herz-Dame.
Er hätte die Karte ausspielen können, die ganze Zeit, bis zum Schluss. Er hätte gewinnen können.

Nun war SEIN Spiel verloren.

°°°

Epilog:
Wäre diese Geschichte ohne das Netz möglich gewesen? Wohl kaum.
Dennoch bleibt zum guten Schluss das Fazit:
Das Netz ist ein Kommunikationsinstrument von verführerischer Kraft. Es lässt Fremde eng aneinanderrücken, entwickelt magnetische Eigenschaften. Am Ende aber ist die Realität das, was zählt - das, was WIR aus diesen Möglichkeiten machen.
THIS IS US!



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