Lichtmaschine


Die nachfolgende Geschichte ist mir tatsächlich vor einigen Wochen passiert.
Auch wenn sie unwahrscheinlich klingt, weil sie einfach zu gut hier rein passt, habe ich mich nun doch entschlossen, sie aufzuschreiben.




Lichtmaschine

Mein Auto ist eine Lady. Eine wirkliche Dame, ein wenig in die Jahre gekommen, aber immer noch hübsch anzuschauen. Sie heißt "Flöckchen"... Jaja, ich höre förmlich das Aufstöhnen der Männer: "FRAUEN! Bei denen HEISSEN die Karren auch noch!" Stimmt. Mein Autochen hat einen Namen.
Vor Jahren hab ich mal einen Pakt mit ihr geschlossen: Solange sie mich nicht wirklich hängen lässt, wird sie nur bestes Öl, Super Plus Sprit und das Versprechen bekommen, sie NIEMALS verschrotten zu lassen, wenn man sie noch irgendwie reparieren kann.

Also fährt Caro mit einem 15 Jahre alten, schneeweißen und komplett rostfreien Peugeot 205 durch die Lande.

Anfang des Jahres war ich wieder mal unterwegs, diesmal ins Rheinland. Für Flöckchen kein Problem: sie ist alt, aber fix, prima in Schuss und mag lange Strecken - genau wie ich. Besonders, wenn es gilt, jemand Besonderen zu besuchen, und das hatte ich vor.

Kurz vorm Ziel meldete sich die Ladekontrolllampe. Es war kein grelles, sattes Leuchten, sondern ein gedimmtes Aufscheinen, langsam stärker werdend. Verflucht!
Was war ich glücklich, dennoch gut anzukommen! Den Wagen stellte ich ab und nahm mir vor, ihn vor der Rückfahrt in einer Werkstatt durchchecken zu lassen.

Einige Tage später war es soweit: Der Werkstatt-Fred ließ sich das Problem erklären, guckte unter die Motorhaube, stieg ein und gab Standgas. Kommentar: "Alles okay! Lampe leuchtet nicht. Das haben die Alten manchmal. Keine Bange, damit kommen sie auf jeden Fall bis nach Hamburg!" Froh fuhr ich los...

Die ersten 100 km guckte ich alle zehn Minuten zur Ladekontrollleuchte - aber diese blieb tröstlich aus.
Nach und nach entspannte ich mich.

Ich war natürlich wieder später losgekommen, als geplant. Es war Sonntag nachmittag. Ich hatte vor dem Reiseantritt noch reichlich Kaffee getrunken, weil die Nacht doch wieder mal lang war und ich gern voll konzentriert unterwegs bin. Mein Hirn braucht Kaffee ungefähr so dringend, wie mein Auto Benzin - ohne geht nicht viel :-).
Normalerweise fahre ich die Strecke ohne Pause durch, aber an diesem Tag würde ich eine Rast machen, da war ich ganz sicher. Sogar eine trainierte Aurumianerblase kann sich recht eindrücklich melden, wenn man literweise Kaffee hineinschüttet ...

Von diesem Punkt war ich noch entfernt. Die Mukke im Radio laut mitsingend, brauste ich auf der A2 entlang.
Gerade als ich die Ausfahrt Gütersloh hinter mir hatte, ging das Radio aus. Ich ahnte Böses. Der Motor stuckerte, das Armaturenlicht verglomm. Mir war klar, was los war. Das war es wohl mit der Lichtmaschine. Blinken konnte ich nicht mehr, aber der LKW rechts von mir blieb etwas zurück und ich lenkte Flöckchen in die entstehende Lücke hinein. Langsam ließ ich den inzwischen antriebslosen, völlig saftfreien Wagen auf dem Standstreifen ausrollen und bremste erst, als ich eine Notrufsäule fand.

Diesen Ort möchte ich gern näher beschreiben.
Der Standstreifen war dort schmaler als üblich. Mein Wagen befand sich in einer Nothaltebucht vor der Säule. Direkt hinter der Leitplanke erhob sich 10 Meter senkrecht hoch eine endlose Schallschutzmauer.

Ich stieg vorsichtig aus und drückte mich am Wagen entlang nach hinten, um das Warndreieck aus dem Kofferraum zu holen. Weste an und dann furchtsam, aber aufrecht mit dem Dreieck vor die Brust gehalten den Standstreifen lang - immer dem Verkehr entgegen. In gefühlten fünf Zentimetern Abstand donnerten die LKW an mir vorbei. Man glaubt ja nicht, wieviele Ausnahmen es vom Sonntagsfahrverbot gibt! Endlich stand das Dreieck. Ich lief zurück zur Säule, um Hilfe zu rufen.

Wieviele Notrufsäulen stehen an Autobahnen? Tausende... Ich erwischte die wohl einzige defekte. Zumindest konnte ich der Aufschrift entnehmen, wo ich mich befand. Na, frau hat ja noch ein Handy dabei. Beifahrertür auf, Tasche raus, Handy geschnappt - nur noch EIN Aufladebalken an! Das würde für ein Telefonat nicht reichen, aber möglicherweise für eine SMS. Auf meiner ADAC Karte war keine SMS Nummer vermerkt. Hektisch überlegte ich. Dann gab ich ein: "Stehe A2 KM 320.8 Ri Bielefeld. Auto hin. Säule auch. Handy fast leer. Rufe 01805 2222222 ADAC und bestätige, wenn geht!" Die SMS schickte ich an meine beiden besten Freundinnen, in der wilden Hoffnung, sie würden das sofort lesen und mir helfen.

Inzwischen hatte sich der Himmel verdunkelt. So früh? war doch erst gegen vier? Da begann der Schneeregen auch schon. Im Nu war ich nass und durchgefroren. Natürlich konnte ich mich nicht ins Auto setzen. Das stand immerhin komplett unbeleuchtet da - die Gefahr, dass jemand da reinfährt, bestand. Außerdem soll man ja immer HINTER der Leitplanke auf Hilfe warten. Also stieg ich, das Handy fest in der Hand, über die Planke und versuchte, in den 30 cm Abstand zur Mauer nicht umzukippen.
Das Warten begann...

Ob es die Kälte war, oder die Aufregung, ich weiß es nicht. Plötzlich meldete sich ein wohlbekanntes, starkes Gefühl, und zwar mit dem Zusatz "DRINGEND!" Ich musste mal.

Normalerweise hätte ich das genossen. Ist ja auch keine Kunst, wenn man irgendwo immer noch die Wahl hat. Aber DORT hatte ich sie nicht. Kein Strauch, kein Busch, hinter dem ich hätte verschwinden können. Der Wagen stand so nah an der Planke, dass ich nicht dazwischen konnte. "Essig" mit Sichtschutz... Also musste ich hoffen, dass dieser ADAC Engel rasch käme. Die Hoffnung trog.

Endlich, nach einer Viertelstunde, kam eine SMS von meiner Freundin. "Hilfe naht!". Gottlob, wenigstens KAM jemand. Nur wann? ich konnte kaum noch stillstehen. Also stieg ich wieder über die Planke und lief hektisch zwischen Auto und Säule in und her. Es sind genau 14 Schritte. Ich habe sie ungezählte Male getan. Alle meine Desp Geschichten fielen mir wieder ein. Nun war ich selber in einer wirklich ausweglosen Lage und fühlte am eigenen Leib, was das heißt: ganz nötig pinkeln zu müssen und nicht zu dürfen. Sicher, ich hatte so etwas schon mal erlebt - nur war die Situation nie so bedrohlich - und ich hatte mich auch noch nie derart auf dem Präsentierteller gefühlt, dabei.

Bedrohlich war die Lage deshalb, weil es langsam dunkel wurde. Seit meinem Notruf war eine geschlagene Stunde vergangen. Mein Auto wurde in der Dämmerung fast unsichtbar. LKW-Fahrer, die sich wunderten, warum die blöde Kuh denn nicht den Warnblinker anmachte, hupten langgezogen und wütend beim Vorbeifahren. Eine LKW Hupe direkt neben einem reißt einem fast das Trommelfell raus. Ich fluchte und rechnete damit, hinterher einen Tinnitus davonzutragen.

Schließlich hielt ich es kaum noch aus. Ich setzte mich auf die Planke und schlug die Beine übereinander. Scham und Not kämpften in mir gegeneinander. Der Schneeregen wurde stärker. Ich dachte bei mir: "OKAY. Wenn der ADAC Typ kommt, wird er bestimmt nicht merken, woher die Nässe kommt, bestimmt nicht..."

Trotzdem wibbelte ich noch eine weitere halbe Stunde herum. In der Ferne sah ich gelbe Blinklichter. DAS musste er sein, der Gelbe Engel. Wurde ja auch Zeit. Ich stand auf und kreuzte sofort die Beine. BOAH, war das knapp gewesen! Ich musste so sehr pissen, dass ich mir fast beim Aufstehen in den Slip gepinkelt hätte. Die Blinklichter kamen näher. Ein Abschleppwagen. Hinten drauf ein Transporter. MIST! Wieder nichts. Gerade in dem Moment, als ich mich nochmal ergeben setzen wollte, rauschte er an mir vorbei und machte die Sirene an!

Vor Schreck strullte ich los. Es war ein Gefühl, als würde sich eine Wärmflasche zwischen meine Schenkel ergießen. Der quälende Druck verschwand, machte Platz für ungeheure Erleichterung. Durch den Autobahnlärm konnte ich nichts davon hören, aber ich fühlte das heiße Strömen und genoss jede Sekunde davon. Gerade noch rechtzeitig fielen mir meine Schuhe ein. Ich schlüpfte aus den Pumps und stand in Nylons da. Zwischen meinen Füßen mischte sich dampfender Saft mit der Regennässe. Ich pisste noch, als der ADAC Wagen heranfuhr.

Mit möglichst neutralem Gesichtsausdruck hob ich meine Schuhe auf und schlenderte zu ihm hinüber. Der Mann stieg aus und tat so, als wäre es völlig normal, dass ihm im Schneeregen eine beinah Barfüßige entgegenkommt. Wir redeten kurz über die Panne, er besah sich das Unglück, lud die Batterie auf und fummelte am kaputten Generatorenregler herum. Danach konnte ich ihm aus eigener Kraft bis zur nächsten Ausfahrt hinterherfahren. Okay, ich hatte eine dicke Decke aus dem Kofferraum auf den Fahrersitz gelegt. "Ich bin völlig durchnässt" begründete ich dies dem Mechaniker. Der nickte nur, als wollte er sagen "Sicher. Von oben und von unten", hielt aber den Mund :-).

:-)))



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