Neelo


Edi war aufgeregt. Endlich wieder in Hamburg, endlich wieder mal in den alten Ecken unterwegs. London war geil, ja, die Studios waren Spitze, sicher. Aber Hamburg, das war eben immer noch was anderes.
Staunend ging er über die Schanze - holla, hatte sich das hier aber verändert. Wenigstens die Alte Flora war immer noch besetzt :-). Naja. Die Autonomen, zu denen er sich selber zählte, waren eben nicht so leicht wegzukriegen. Da übersah er eben mal die vielen neuen Coffee-Shops, die Schicki-Läden.

Leise wagte er, sich zu erinnern. Wen wollte er finden? Ja, sicher, diese Eine, die mit Jürgen und ihm geschlafen hatte - und mit ihm vorher alleine und später auch noch - aber das war wohl sehr vermessen, zu hoffen, sie wieder zu sehen. Das letzte Mal hatten sie vor vier Monaten telefoniert. Edi war unschlüssig. Erstmal gucken gehen...

Vor dem Le Fonque traf er ein paar alte Kumpels von früher wieder. Kiffer-Jürgen war immer noch Kiffer-Jürgen - Tagesjobs hatte er manchmal, verwarzt und stinkend war er immer noch, aber fröhlich. Wenn es für seine Joints reichte, war seine Welt okay. Meany war verändert. Sah aus wie früher, aber sein Blick war klar und er erzählte etwas von einer Frau und einer Tochter und einem Job. Robbie mit seinen 200 Piercings machte ihm Sorgen. Er sah krank aus. Drogen? Robbie grinste verwaschen. "EY Aldeah, ich bin runter vom Eitsch. Nur noch Alk, geht auch..." Edi dachte einen Moment lang, dass Alk evtl. DOCH nicht die bessere Droge wäre...

Ein Mädel kam an. Klein, munter, rothaarig. Sie war von einer flinken Biegsamkeit, die verriet, dass sie weder dem Alk noch den Drogen verfallen war. Klare blaue Augen, ein breites Pippi-Langstrumpf-Lächeln. "Hey, wer bist Du denn?" fragte sie. "Edi, aus London" knurrte er freundlich.
Meany stupste ihn an und wisperte in sein Ohr: "Vorsicht. Das ist Neelo. Völlig durchgeknallt. Ist seit 2 Monaten auf der Scene, keine Ahnung, wo sie wohnt, wer die ist. Keine Drugs, kein Alk, nix. Aber komplett irre..."

Edi sah sie an.
Neelo wirkte total unbefangen, wie Alice im Wunderland der Verlorenen. Als würde sie von irgendeinem Zauber beschützt. Verletzlich, ja. Aber sicher. Als sie Anstalten machte, zu gehen, folgte er ihr. Sie strahlte ihn an. "Kommst du mit? Ich will noch in den Fools Garden zu Hanne. Da sind heute nacht finnische Mukker am Start..."
Edi folgte ihr bis in die Lerchenstraße. Das Fools Garden hatte sich NICHT verändert. Immer noch der verhaltene Charme, ein Refugium der Nachtschwärmer, der Übriggebliebenen. Auf der Bühne Menschen, die es noch nicht geschafft hatten, in die Charts, in den Kommerz. Strange. Aber OKAY. Edi blieb gern. Hanne, unerschütterlich mit ihrem schwarzen Hut, stand hinter der Theke. Er bestellte Kaffee. Hanne sah ihn sardonisch lächelnd an. "Edi, was ist los? Hat dich die Welt da draußen so verändert? Komm, trink einen Spezial mit mir. Geb ich dir aus!"

Widerspruch zwecklos,. Hanne war die Königin in ihrem Reich. Edi nahm ergeben das große Wasserglas entgegen. Die Mischung aus Eis, Gin und Martini Bianco hatte etwas Teuflisches. Edi wusste das und trank. Neelo hatte ebenfalls einen Spezial in der Hand. Sie tänzelte Richtung Bühne.
"Hanne, kennst du sie" fragte er. Hanne sah ihn an, mitten hinein in seine Augen. So einen Blick bekam man nicht oft von ihr. "Edi, sie ist eine Fee. Ich mag sie. Sei vorsichtig, sie ist wirklich anders. Sie ist anders als wir alle."

Edi folgte Neelo. Neelo, Neelo, irgendwas kam ihm bekannt vor an ihrem Namen, an ihr. DA! Ja KLAR! Wie dröselig von ihm... "Das fünfte Element" von Luc Besson, das Mädel, das Bruce Willis ins Taxi geknallt war. SO sah sie aus, ja. Verblüffend ähnlich sogar.

Vor der Bühne trat er hinter sie. Sie lehnte sich an ihn, als hätte sie geahnt, dass er hinter ihr stand. Nicht einmal sah sie sich um.
Nach der Mukke gingen sie raus. Neelo bestimmte die Richtung. Sie landeten in einem kleinen Park an der Juliusstraße. Neelo drückte ihn auf eine Bank und setzte sich auf sein rechtes Knie. Es musste so gegen drei Uhr früh sein... Stockfinster, jetzt, im November.
Sie saß, ihm zugewandt, die Schenkel gegen sein Bein gedrückt, rittlings auf seinem Bein. Ihr Lachen flirrte um ihn herum. "Edi, ich mach dich gleich nass" zwitscherte sie, und da fühlte er es auch schon: heiß und feucht wurde es an seinem Bein. Sie sah ihn die ganze Zeit an. Sie grinste und strullte, unbefangen und als wäre das völlig normal, als würde sie mit ihm gerade im Cafe eine Unterhaltung führen.

Edi stockte der Atem. Sie pisste durch ihre Jeans, auf seine Lederhose, als wäre das so selbstverständlich wie nur was. Als sie fertig war, zog sie seinen Kopf an ihre Schulter. "Riech mal" forderte sie ihn auf. Er sog den Duft ein, den warmen dampfenden Duft, der von ihr aufstieg. Potenter Frauenurin, kraftvoll und stark. Als sie aufstand, hielt er ihre Hand fest. "Wohin gehst du?" fragte er.

"Nirgendwohin" flüsterte sie. "Komm mit zu mir" wisperte er an ihrem Hals. Sie schüttelte ihre roten Haare. "Nein."
Auf einmal wirkte sie fast verlegen. Sie gingen die Straße entlang. In den Astra-Stuben war noch Leben. Neelo ging hinein und war in der Masse verschwunden.

Edi war der letzte Gast. Er hatte auf sie gewartet, den ganzen Rest der Nacht lang. Sie war nicht wiedergekommen.

Am nächsten Tag erwachte er in seiner Bude. Die Lederhose lag über einem Stuhl. Edi nahm sie herunter und roch daran. Ja, der Duft war noch schwach spürbar.
Er hat sie gesucht, tagelang.
Er hat sie nicht gefunden.



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