Sunken Gardens


Nach endlosen Planungen war es schließlich gelungen. Isa und Gregor hatten es geschafft, einen gemeinsamen Urlaub zu buchen. Obwohl: "Urlaub buchen" ist auch wieder so ein Ausdruck, dessen Bedeutung für Gregor eine völlig andere war als für Isa.

Isa wollte ein dreiwöchiges All-inclusive-Paket auf beispielsweise den Malediven - Gregor dagegen zog eine sechswöchige Trekkingtour durch die Anden vor. Nach den üblichen Diskussionen, Schreiereien und gegenseitigen Vermutungen über den jeweiligen Geisteszustand des anderen ("Bis du total bescheuert? Ich lauf doch nicht in Bergsteigerstiefeln durch ne Steinwüste und fress dabei Hundefutter aus Dosen!" - "Und ich werd mich garantiert nicht vier Wochen in eine künstliche Landschaft mit künstlichen Leuten und künstlichen Drinks legen und mir Hautkrebs holen - und alle 10 Minuten nervt so ein Animateur auf Koks rum, wir sollen zu Scooter-Mukke Polonaise um den Pool tanzen!").

Der Kompromiss hieß Florida. Aber nicht Miami oder Daytona, wo Isa eigentlich am Liebsten hinwollte, nein - hier hatte Gregor ein Machtwort gesprochen. "Sonne ist okay, Tropen sind okay, dann lass mir wenigstens n bisschen Kultur und Natur. Das ist beides nur an der Westküste zu finden - Everglades, Crystal Springs, Tampa Bay, St. Petersburg und so. Da will ich hin!
Isa war heilfroh, dass sie nicht tagelang schwere Rucksäcke schleppen musste und hütet sich, Gregor weiter zu reizen.

Und so flogen die beiden über Atlanta nach Tampa, und checkten in den Tierra Verde Apartments ein. Die lagen nah am Naturschutzgebiet Fort de Soto und es gab einen Pool, Tennisplätze, Riesengarten mit Flamingos drin - alles, was das Herz begehrte. Isa hätte den gesamten Urlaub am Wasser auf eine der weißen Holzliegen verbringen können, einen kühlen Long Island Ice Tea in der Hand. Das war mit Gregor nicht zu machen. Freundlich aber bestimmt legte er fest, dass mindestens alle zwei Tage etwas unternommen werden musste. Isa fügte sich murrend.

Heute waren die Sunken Gardens in St. Petersburg dran. Schon auf der Hinfahrt schwärmte Gregor ohne Punkt und Komma: "Isa, das ist einmalig da, echt! Die Sunken Gardens liegen unter dem Meeresspiegel. Es ist so heiß und schwül dort, dass die Pflanzen viel größer werden, als normal. Außerdem haben die einen Schmetterlingsgarten und frei fliegende Papageien. Da wachsen die höchsten Palmen des Planeten und der älteste bekannte Scyndapsus. Der soll Blätter haben, größer als ein Couchtisch…" Isa hörte nur mit halbem Ohr hin. Sie hoffte auf eine Bar und vielleicht eine nette Show…

Als sie ankamen, verflog Isas miese Laune sofort. Das war ja wirklich phantastisch, was es fort zu sehen gab. Die Sunken Gardens sind vor über hundert Jahren angelegt worden, weit vor den Touristenströmen. Es gab uralte Pflanzen dort und Gregor hatte nicht übertrieben. Allein die Größe der Palmen war atemberaubend. Glücklicherweise war der Riesenpark nicht überfüllt. Westflorida ist noch nicht völlig vom Fremdenverkehr in Beschlag genommen. Das hieß, das wegen der überschaubaren Besucherzahlen die Tiere frei herumliefen und -flogen. Isa begegnete einem schneeweißen Pfau und zahllosen Schmetterlingen, und auf jedem dritten Strauch saß ein knallbunter Papagei.

Nach drei Stunden des Herumspazierens wollte Isa mal kurz für kleine Zicken und blickte sich suchend um. "Gregor? Hast du hier irgendwo ein Schild gesehen, wo WC draufsteht?" Gregor, der vor einer Stunde mal beiläufig hinter einer Palme verschwunden war, schüttelte den Kopf. "Nö. Aber das hier ist Amerika. Die haben doch sonst alle drei Meter ein Klo. Wird schon bald was kommen. Gehen wir einfach diesen Weg hier weiter, ja?" Isa nickte bekümmert und folgte ihm weiter durch den fast unkultivierten Dschungel.
Sie gingen fast noch eine halbe Stunde, als das ersehnte Schild schließlich kam. Isa erblickte es als erste und rief froh: "Gregor, da ist es ja! Na, das wurde jetzt aber auch höchste Zeit! Ich bin dann mal kurz weg!" Schnellen Schrittes bog sie in den kleinen Weg ein, den der Pfeil auf dem Schild vorgegeben hatte. Gregor sah ihr nach. Isas Hüften wogten ein klein wenig mehr als sonst beim Gehen. Holla, seine Kleine musste ja wirklich. Er lächelte leicht und widmete seine Aufmerksamkeit wieder der Kaskade von Bougainvillien, die violett und reichlich über das Mäuerchen links vom Weg hingen.

Isa war heilfroh, dass sie endlich zum Pinkeln kommen würde. Ihr dünnes Sommerkleidchen war ziemlich durchgeschwitzt, trotzdem war noch genug Flüssigkeit übrig gewesen, um ihre Blase prall zu füllen. Hoffnungsvoll bog sie um die Kurve und blieb entgeistert stehen.
Statt des modernen Sanitärgebäudes, das sie an dieser Stelle wie selbstverständlich erwartet hatte, stand dort ein Häuschen, welches mit Sicherheit aus dem Gründungsjahr des Parks stammte, und das war 1903. Ein weiß verputzter Ziegelbau mit grün angestrichenen Holztüren, die schief in den Angeln hingen. Links Gents, rechts Ladies. Es half ja nichts, Isa ergriff die antike gusseiserne Klinke und öffnete die Tür, die zu allem Überfluss auch noch dramatisch quietschte.
Sie stand in einem kleinen niedrigen Waschraum, der zu zwei Kabinen führte. Auch hier gab es Holztüren. Gerade als Isa eine davon öffnen wollte, fiel ihr Blick auf etwas, das sie im Augenwinkel bereits verschwommen wahrgenommen hatte.

Isa stand völlig erstarrt. Ihr Atem stockte, sie verkrampfte sich von oben bis unten. Okay, die Pflanzen in den Sunken Gardens waren übergroß, okay, aber DAS hier sprengte ihre Vorstellungskraft. In der oberen Ecke des Vorraumes hockte eine tintenschwarze, behaarte Spinne, die von der Größe her jeder jungen Vogelspinne den Rang abgelaufen hätte.

Isas Verhältnis zu Tieren war an sich entspannt. Gut, Schlangen und Maden fand sie nicht so prickelnd. Vor Spinnen hatte sie aber seit jeher eine panische Urangst. Schon kleine Hausspinnen brachten sie regelmäßig aus der Fassung und schon allein deshalb lohnte sich jede Dose Whiskas für ihren Kater, der Spinnen als eine Art Spielzeug mit Leckerlifaktor jagte, wo er sie fand.
Das hier war etwas anderes. Das hier war keine Hausspinne, sondern ein furchterregendes Monster. Sogar ihr Katerchen hätte diese Bestie da oben eher respektvoll gegrüßt und wäre dann fauchend verschwunden.

"Gregor?" flehte Isa mit dünnem Stimmchen, aber Gregor war weit.
Isa traute sich keinen Schritt mehr vor oder zurück. Die Spinne versperrte ihr quasi den Rückweg. Isa entschloss sich endlich, es mit einer der Kabinen zu versuchen. Die Kabinen waren zwar nach oben offen, dass hieß, die Spinne könnte theoretisch an der Decke zu ihr rüberhuschen - aber vielleicht blieb sie ja einfach da oben hocken?

Wenn sie nur nicht so rasend pissen müsste! Isa fing an, vor sich hin zu wippen. Langsam ging sie rückwärts Richtung Kabine. Mit einer Hand öffnete sie die Tür und warf einen Blick hinein.
Mit einem Aufschrei sprang sie zurück.
An der Außenwand der Kabine befand sich ein kleines halboffenes Fensterchen, und durch eben diese Öffnung mussten die etwa zwanzig Verwandten des riesigen Achtbeiners vom Waschraum hereingekommen sein. Malerisch über die Wand verteilt schienen sie alle auf Isa gewartet zu haben. Einige krabbelten gar interessiert auf sie zu…

"GREEGOOOOR!!!!!" schrie Isa angsterfüllt.
Gleichzeitig spürte sie so nebenbei, dass ihr der erste Schwall vor Schreck ins Höschen gegangen war. Isa heulte vor lauter Hilflosigkeit und Furcht. Alle Schleusen ihres Körpers öffneten sich nun. Die Tränen kamen, es lief ihr weiter unaufhaltsam in den Baumwollslip, an den Schenkeln entlang und in die Sandalen hinein.
Sie zitterte und pinkelte vor Angst geschüttelt, an Kontrolle in irgendeiner Form war überhaupt nicht mehr zu denken.

Gregor hörte Isas Schrei und lief los. Er fand den Weg nicht sofort, dann aber rannte er auf das Gebäude zu, riss die Tür auf und fand seine Liebste in der Mitte des Raumes stehend vor, nassgeschwitzt und immer noch vor sich hinpieschernd.
"Was ist denn HIER los?" fragte er verständnislos. Isa wies nur auf die Spinne und schluchzte: "Da drinnen sind noch hundert andere davon und ich hab so Angst!"

Gregor zog Isa sofort aus dem Bau heraus.
Draußen besahen sie sich die Bescherung. Isas Sandalen warn komplett ruiniert, der Slip klitschnass und das Kleid, na, das Kleid wenigstens hatte nichts abbekommen.
Isa wollte auf keinen Fall die Sandalen ausziehen. Die Gefahr, mit nackten Füßen wieder auf eine Spinne zu treten, war ihr zu groß.
Gregor ging noch mal ins Gebäude, um sich die Viecher anzusehen. Er kam recht schnell wieder heraus und meinte: "Isa, wir müssen zur Parkleitung. Das ist eine Ansammlung von Wolfsspinnen, Familie Lycosidae. Wie sind die bloß hierher gekommen…"

Isa hatte ihre Fassung einigermaßen wieder.
"SO geh ich bestimmt nirgendwo hin! Wie seh ich bloß aus… Na, wenigstens muss ich nicht mehr…" Gregor sah ein, dass er erstmal Isas Problem lösen musste. Nach kurzem Grübeln fiel ihm auch etwas ein. "Isa Engel, vorhin sind wir doch an dem Flamingoteich vorbei gekommen. Da gehen wir beide jetzt hin und schwimmen ne Runde."

Ausnahmsweise waren von Isa keine Widerworte zu hören. Auch Gregor redete auf dem Weg nicht. Er hatte seinen Arm schützend um sie gelegt. Das einzige Geräusch auf dem Weg war das regelmäßige "quitschquatsch" von Isas Sandalen.

Am Teich war kaum etwas los. Gregor und Isa gingen wie selbstverständlich in voller Montur über den Uferrand ins Wasser und schwammen gewiss schon eine Viertelstunde mit geheuchelter Unauffälligkeit im warmen Wasser zwischen den Flamingos herum, als ein Parkaufseher aufmerksam wurde.
"Sir! Ma'am! Get out of the water! Immediately!"
Isa und Gregor entstiegen den Fluten mit gespieltem Erstaunen. Nachdem sie mit vielen Worten und noch mehr Gesten erklärt hatten, dass sie 1. aus Germany und 2. ohne Arg waren, wurden sie nach nunmehr freundlicher Ermahnung entlassen.

Die leichte Sommerkleidung trocknete größtenteils schon auf dem Rückweg. Nur Isas Slip blieb feucht. Einerseits, weil die Sonne nicht direkt drauf scheinen konnte, andererseits weil… nun, Isa hatte der ganze Stress und Gregors Vorstellung als wahrer Held ganz schön wuschig gemacht.
Im Auto auf dem Parkplatz legte sie ihre Hand auf seinen Oberschenkel und schnurrte: "Du Großer? Müssen wir jetzt sofort losfahren? Ist ja nix los hier und der Wagen hat doch Liegesitze, oder?" Gregor, den die Szene von vorhin auch nicht kalt gelassen hatte, stellte wortlos seine Lehne nach unten.
Was für ein Glück, dass die Parkaufsicht dieses Mal konsequent wegsah.

:-)



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